Elli gibt den Loeffel ab
war jedenfalls passe. Überall Schmutz, Müllbeutel und der Geruch von Abfällen statt des verführerischen Kaffeearomas, das sie zu Hause auf den neuen Tag eingestimmt hätte. Erst einmal strecken. Das war jedoch leichter gesagt als getan, wenn man die Nacht mit dem Kopf auf einem Koffer verbracht hatte.
»Buon giorno«, krächzte eine schlaftrunkene Stimme von der Parkbank neben ihr.
Sie gehörte einem jungen Italiener, der sich eben aus einer dünnen Decke schälte und sich rekelte. Verschlafene Augen und der Versuch, charmant zu lächeln — mehr an Motivation, sich in einen neuen anstrengenden Tag in dieser stressigen Stadt zu zwingen, gab es an diesem Morgen nicht. Scheinbar hatte sie vergangene Nacht intuitiv die richtigen Parkbänke gefunden, die gerne von den No-Budget-Touristen genutzt wurden. Wenn ihr der junge Mailänder gestern nicht in verständlichem Englisch versichert hätte, dass er hier bereits eine Nacht verbracht hatte und schon allein deshalb hier nichts passieren würde, weil am Ende der Straße eine Polizeiwache war, hätte sie vermutlich die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Aus ihr war ein Penner geworden, vielmehr eine Pennerin. Mit ihren sechzig Jahren ging sie ja wohl kaum mehr als Rucksacktouristin durch. Erst jetzt dämmerte ihr, wie sie in diese missliche Lage geraten war. Der Ober hatte sie kurz vor zwei freundlich, aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht, dass er den Tisch abräumen wollte. Todmüde hatte sie sich daraufhin bis zu der Parkbank geschleppt. Wie erniedrigend.
Jetzt musste sie erst einmal frühstücken, und wenn es nur ein halbes, absolut nicht mehr frisch aussehendes Sandwich vom Vortag war, dessen Hälfte ihr der junge Mann gerade offerierte. Besser als gar nichts. »Grazie,grazie mille«, sagte sie — zu mehr reichten ihre bescheidenen Italienischkenntnisse nicht.
Immerhin kehrten mit den wenigen Bissen die Lebensgeister zurück. Sollte sie tatsächlich noch die Mineralwasserflasche mit ihm teilen? Anders war das über Nacht zu Granit gewordene Weißbrot wohl kaum zu bewältigen. Erstaunlicherweise spendete ihr der kleine Imbiss so viel Energie, dass sie den kurzen Fußmarsch zur Post am Hafen ohne große Mühe bewältigte. Die morgendliche Frische und die leichte Brise vom Meer, die die Abgase weitgehend von ihr fernhielten, taten ihr Übriges. Überhaupt schienen die Sterne am heutigen Tag besser zu stehen: Friedas Geld war angekommen.
»Ihren Ausweis bitte«, sagte der freundliche Mann auf Deutsch, als Elli vor ihm stand.
Es hatte geklungen wie der Anfang vom Ende. Der Pass lag vermutlich immer noch unbeachtet im Wohnwagen von Heinz. Manchmal sagen Blicke eben mehr als tausend Worte, rekapitulierte sie den Moment am Schalter auf dem Weg zum Ticketschalter der Fähre. Vermutlich hatte sie so verzweifelt gewirkt, dass ihr Erscheinen am selben Schalter, an dem sie am Vortag die Geldanweisung angekündigt hatte, ausnahmsweise genügt. »Sie müssen hier unterschreiben.« Der Satz hatte wie der Einlass ins Paradies geklungen.
Nun war sie um fünfhundert Euro reicher. Damit konnte sie endlich das Fährticket mit dem Schnellboot bezahlen und war nur noch einundvierzig Minuten von Capri entfernt.
Kapitel 6
Fabrizios Herzschlag beschleunigte sich, als er aus einem der Fenster im Erdgeschoss auf die Zufahrt der Casa Bella blickte. Zwei schwarze Mercedes mit getönten Scheiben krochen bei flimmernder Hitze die malerische Serpentinenstraße hinauf. Ans Fensterputzen war jetzt nicht mehr zu denken. Vielmehr stellte sich die Frage, ob er nicht möglichst schnell das Weite suchen sollte. Hatte Roberto de Andre etwa mitbekommen, dass er zwei Briefe nach Deutschland geschrieben hatte? Kaum vorstellbar, es sei denn, Eleonore oder Dorothea hätten sich bereits mit den Behörden vor Ort in Verbindung gesetzt und schlafende Hunde geweckt. Ein Erschießungskommando! Warum sonst kamen sie gleich mit zwei Wagen? Einer davon gehörte ganz sicher de Andre.
Der Hotelier und Investor, der die Casa Bella lieber heute als morgen übernehmen wollte, hatte Fabrizio schon einmal aufgefordert, seine Sachen zu packen. Keine zwei Wochen war der alte Castiglione, dem die Casa Bella gehört hatte, unter der Erde. De Andre hatte es verdammt eilig!
Davonlaufen kam jedoch nicht in Frage. Fabrizio hatte nicht zwanzig Jahre seines Lebens in diesem Haus gearbeitet, um sich von einem Halsabschneider vertreiben zu lassen, auch wenn dieser aller Wahrscheinlichkeit nach beste Kontakte zur
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