Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Hennig
Vom Netzwerk:
auf einem Hügel stand. Ihre Großmutter hatte ihr oft von diesem charmanten Gästehaus erzählt — ihre zweite Heimat. Ja, genau das waren ihre Worte gewesen. Obwohl es nur eine Schwarz-Weiß-Aufnahme war, konnte sich Anja gut vorstellen, wie schön es dort sein musste. Auf Capri zu leben, wäre bestimmt traumhaft.
    Ein wenig erinnerte sie die Pension an einen kleinen bayerischen Gasthof in Elmau, wo sie kurz nach Abschluss ihrer Ausbildung als Aushilfe tätig gewesen war. Große Hotelküchen in guten Häusern waren zwar ein besseres Karrieresprungbrett, aber nichts ging über eine Küche in familiärer Atmosphäre, noch dazu an einem schönen Ort. Anja beschloss, das Foto in ihrem Arbeitszimmer aufzustellen. Vielleicht brachte es ja Glück.
    Auch in den anderen Schubladen war die holzgeschnitzte Schatulle, in der die Briefe liegen sollten, nicht aufzufinden, doch dann blieb der wandernde Lichtkegel ihrer Taschenlampe an einem dunklen Gegenstand hängen, der auf einem der wuchtigen Holzschränke stand. Das musste sie sein. Nur mit Mühe und vor Aufregung pochendem Herzen erreichte Anja mit den Händen gerade mal die Kante des Schrankes. Im Nu waren ihre Finger schwarz vom Dreck der letzten Jahrzehnte. Die Schatulle! Sie streckte sich, doch erst als sie in einer halsbrecherischen Aktion auf ein altes Schaukelpferd stieg, kam sie heran. Darin lag hoffentlich der Schlüssel für eine gesicherte Zukunft.

    »Einhunderttausend«, machte Roberto de Andre dem Bankangestellten am anderen Ende der Leitung klar und spielte dabei mit dem Brieföffner aus Metall. Er war mit einem hell schimmernden Griff aus Muranoglas gefertigt und passte perfekt zu dem altehrwürdigen Stil der anderen bürotauglichen Kunstobjekte, die auf seinem Schreibtisch lagen. Ein Kredit in dieser geringen Höhe war nichts weiter als eine Formalität. Die Pension, vor allem aber das Grundstück waren mehr als das Zehnfache wert und ließen sich mit Sicherheit auf das Fünfzehnfache steigern, wenn er aus der Casa Bella erst einmal ein Luxushotel gemacht hatte. Zehntausend Euro gingen an seinen alten Schulfreund Lorenzo bei der Gemeindeverwaltung, der dafür gesorgt hatte, dass es zu keiner öffentlichen Ausschreibung kam.
    Korruption hin oder her, er würde aus diesem göttlichen Stück Erde ein Paradies machen, was am Ende natürlich auch der Stadt zugutekommen würde. Einen besseren Investor als ihn gab es sowieso nicht. Fabrizio Cavalaro würde ihm nun ebenfalls keine Steine mehr in den Weg legen. Der Gedanke daran, dass der alte Herr weiß wie die Wand der Pension geworden war, als er ihm damit gedroht hatte, seiner Nichte etwas anzutun, belustigte ihn. Dabei kannte er Paola nur flüchtig und wusste gerade mal, dass sie irgendwo in der Nähe von Rom lebte. Das war einer der Vorteile, wenn man den zwielichtigen Ruf genoss, mit der Mafia in Verbindung zu stehen.
    Was hieß schon Mafia? Selbst wenn es so wäre. In welchem westeuropäischen Staat gab es keine Korruption, diverse Seilschaften und den berühmten Vitamin-B-Faktor? Die ganze Politik funktionierte so. Waren Lobbyisten in Brüssel letztlich nicht auch Mafiosi? Scheinbar hatten sie alle von der »ehrenwerten Gesellschaft« gelernt.
    Das Leben meint es gut mit mir, sagte er sich, als er gut-gelaunt vom Büro auf die Terrasse seiner Villa in perfekter Hanglage am Monte Solaro trat und den traumhaften Ausblick auf die Faraglioni-Felsen genoss, einem der Wahrzeichen seiner Heimat. Um ihn herum nichts als die Villen der Reichen und Schönen, mit riesigen Grundstücken und eigenen Anlegestellen, direkt am Meer gelegen. Vielleicht besaß er sogar eines der schönsten Anwesen hier, und darauf war er verdammt stolz.
    »Papa?« Die Stimme seines Sohnes drang von der Tür zum Flur herüber.
    Beunruhigt blickte Roberto auf die Armbanduhr. Paolo hatte er erst für den Abend erwartet. Er schätzte es gar nicht, wenn jemand seine Pläne in irgendeiner Form durchkreuzte, selbst wenn sie privater Natur waren. Nichtsdestotrotz bereitete es ihm, da Paolo nur noch selten zu Besuch kam, jedes Mal große Freude, seinen Sohn zu sehen. Der Herr Doktorand hatte ja kaum noch Zeit für ihn. Vermutlich ein vorgeschobenes Argument, wegen des ärgerlichen Umstandes, dass sie sich immer häufiger über Paolos Fachgebiet, nämlich die Fragen moderner und ökologisch verträglicher Hotelführung, in die Haare bekamen. Gelegentliche Streitigkeiten hin oder her — er war trotzdem stolz auf seinen Sohn. Ein prächtiger Bursche

Weitere Kostenlose Bücher