Elli gibt den Loeffel ab
sie war endlich am Ziel. Dass ihre Mutter alles daransetzen würde, sich dieses Haus zu sichern, war klar. Die Aussicht war atemberaubend, und hier Urlaub zu machen, musste traumhaft sein. Noch besser aber, sagte sie sich, als sie rastsuchend auf der Terrasse Platz nahm und sich in die vor ihr liegende Zitronenplantage verliebte, wäre es wohl, wenn man hier für immer wohnen könnte. Nur, wovon würde man hier leben? Kaum zu Ende gedacht, füllte sich die Terrasse vor ihrem geistigen Auge mit zahlreichen Gästen, üppige Speisen auf den Tellern vor ihnen. Dazwischen huschten mehrere Ober geschäftig hin und her. Wieder blickte sie zum Haus, dann in die Weite des Feldes und zurück zum Haus. Hier bin ich, hier bleib ich! Das war einfach eine tolle Location. Die Anfahrt dauerte nicht lange, und aus so einer schönen alten Pension ließe sich auf jeden Fall etwas machen. Ein Restaurant mit regionaler Spezialitätenküche zum Beispiel. Eine wahre Goldgrube. Statt der Würstchenbude eröffnete sie eben ein Restaurant auf Capri. So abwegig ihr der Gedanke im ersten Moment erschien, so verführerisch war er.
»Die Pension hat geschlossen.« Die Stimme, die sie aus ihren Träumereien riss, kam von dem nahegelegenen Schuppen und gehörte einem quirligen Italiener.
»Ich suche meine Mutter«, antwortete sie nur.
Der Mann stutzte.
»Ich bin Anja Menning.«
Sofort glitt ein breites Lächeln über sein Gesicht. »Anja, willkommen in der Casa Bella. Möchten Sie etwas trinken?«
»Ist meine Mutter da?«
»Sie ist in der Stadt.«
»Darf ich mich ein bisschen umsehen?«
»Natürlich.«
Heinz hatte sich eigentlich vorgenommen, den ausgedehnten Spaziergang entlang der einsamen Trampelpfade auf den Hochplateaus der westlichen Steilküste zu genießen. Stattdessen kreisten seine Gedanken nur um Elli. Dorothea hatte wohl recht. Er war beim besten Willen kein Traummann. Wenn man so wie er aus niedersten Beweggründen für das Scheitern einer Ehe verantwortlich war, dann befand man sich Lichtjahre davon entfernt. Rein rational betrachtet wusste er, dass er aus seinen Fehlern lernen konnte, außerdem wollte er die Ereignisse von damals am liebsten ungeschehen machen. Aber zugleich war da die Angst, sich gar nicht ändern zu können.
Würde er sonst schon seit Jahren mit dem Wohnmobil durch die Welt gondeln? Seme Freiheit war ihm das Wichtigste. Um seinen Lebensdurst zu stillen. Zwar ging es nun nicht mehr um Macht und Geld, aber immer noch um das, was ihm wichtig war. Keiner Frau war es zuzumuten, ein solches Leben auch nur in Betracht zu ziehen. Er musste sich Elli aus dem Kopf schlagen und versuchen, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Immerhin hatte er seinen kleinen, treuen Begleiter, der mit ihm durch dick und dünn ging und der sich freute, wenn er bei ihm sein durfte. Ein Hund konnte durchaus ein Partnerersatz sein, in manchen Fällen sogar ein besserer Lebensgefährte als ein Partner, jedenfalls in durchschnittlichen Ehen, aber es war und blieb nun mal ein Tier.
Bereits zwei Tage mit dieser Frau hatten ihm schlagartig klargemacht, wie schön es sein konnte, einen liebenswerten Menschen um sich zu haben. Jemanden, der ihn anlächelte, mit dem er sich austauschen konnte. Diese göttlichen Grübchen! Es war wie ein Fluch, ein Gift, das er so schnell wie möglich wieder loswerden musste. Das war jedoch leichter gesagt als getan. Selbst die perfekte Idylle von Anacapri hatte nicht genug Kraft, um ihn abzulenken. Wie hatte er sich nach der Lektüre von Axel Munthes Das Buch von San Michele auf die dazugehörige Villa gefreut. Der Autor faszinierte ihn. Der Leibarzt der schwedischen Königin hatte der Insel nicht nur eine traumhaft schöne Villa mit ausgedehnten Gärten hinterlassen, die vor antiken Kunstschätzen und Skulpturen nur so strotzte, sondern sich auch für den Erhalt der Natur eingesetzt. Was für eine verrückte Idee, gleich den ganzen Monte Barbarossa zu kaufen, um die grausame Jagd auf Singvögel zu unterbinden.
Genau jenen Berg konnte er von der Terrasse der Villa aus nun sehen. Gen Osten hatte man eine gute Sicht auf die Marina Grande. Einen schöneren Aussichtspunkt gab es auf der ganzen Insel nicht, doch kaum hatte er die Aufnahme mit seinem Handy gemacht, konnte er nicht widerstehen und musste sich noch einmal das Bild von Elli in der roten Abendrobe ansehen. Er war wie besessen von ihr, und daran konnten weder der Spaziergang zum Castello Barbarossa noch der betörende Duft des malerischen
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