Ellin
eingehüllt in einen Wollmantel, der so lang war, dass er auf dem nassen Boden schleifte. Ellin lächelte gequält und winkte ihm zu, woraufhin er sich abwandte und in das Innere der Festung verschwand.
»Wenn du wieder hineinwillst, dann schrei oder klopfe so fest du kannst gegen das Tor, sonst hör’ ich dich nicht«, rief der Wachmann ihr zu. Seine Worte verhallten in dem tosenden Regen.
Ellin nickte stumm, ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. Mit bedrückender Endgültigkeit schloss sich das schwere Portal. Ein scharfer Wind riss an ihrer Kleidung, peitschte eisige Tropfen in ihr Gesicht – ein Willkommensgruß des Hammerfelsens. Schützend legte sie die Hände über die Augen und blickte sich um. Die bleigrauen Wolken hingen bis auf die Zinnen der Felsenfestung hinab und hüllten die Welt um sie herum in einen düsteren, nasskalten Mantel. Hier, auf der Spitze des Berges, war der Boden eben, doch ein paar Doppelschritte entfernt begann der nördliche Abstieg. Ein schmaler Weg, der aus dem umliegenden Felsmassiv gehauen worden war. Während des Langen Regens verwandelte er sich in eine Wasserrutsche, die steil nach unten führte.
Beherzten Schrittes machte sie sich an den Abstieg. Kaum hatte sie den Weg betreten, versank sie bis zu den Knöcheln im Wasser und musste aufpassen, nicht auszurutschen. Krampfhaft hielt sie sich an der Wand fest und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Einen überfluteten Weg entlangzugehen, aus dem es kein Entrinnen gab, war beängstigend, vor allem da sie die Festung seit acht Sternenläufen nicht verlassen hatte. Doch gab es kein Zurück, denn selbst wenn sie jetzt umkehrte, würde Lord Wolfhard von ihrem Fluchtversuch erfahren und sie grausam und unbarmherzig bestrafen.
Mit zitternden Knien arbeitete sie sich weiter vor. Innerhalb kürzester Zeit waren Umhang und Tunika tropfnass und die Beinkleider durchweicht. Der schwere Stoff wickelte sich um ihren Leib wie gierige Schlingen und erschwerte ihr Vorwärtskommen. Sie überlegte, wie viel Zeit ihr noch blieb, bis die Dunkelheit kam und wie lange diese Wasserstraße überhaupt begehbar sein würde. Besorgt richtete sie ihren Blick zum Himmel, dessen Sonnen noch immer hinter grauen Wolkenbergen verborgen waren. Plötzlich rutschte sie aus, verlor den Halt und fiel hin. Ein scharfer Schmerz schoss ihren Rücken hinauf und raubte ihr für einen Augenblick den Atem. Das Wasser strömte um sie herum und riss an ihrer Kleidung. Sie fluchte leise, schob sich ein Stück nach vorne und versuchte, auf die Beine zu kommen, doch sie fand keinen Halt. Immer wieder rutschten ihre Füße unter ihr weg, als würde sie auf einer abschüssigen Eisbahn liegen. Vorsichtig drehte sie sich auf den Bauch und stemmte sich auf die Knie. Aus dieser Position heraus gelang es ihr schließlich, auf die Beine zu kommen. Vor Kälte und Anstrengung zitterte sie am ganzen Leib, ihre Hände waren steif und gefühllos. Sie musste so schnell wie möglich aus diesem eisigen Wasser hinaus. Sie sah sich um. Ungefähr dreißig Doppelschritte entfernt konnte sie eine Art Nische ausmachen, bei der es sich hoffentlich um einen Aufstieg handelte. So schnell es der rutschige Boden zuließ, setzte sie ihren Weg fort.
Die Nische war tatsächlich ein Aufstieg. Behauene Steinstufen führten auf den Felsen hinauf. Das Erklimmen der Treppe war anstrengend, was vor allem an dem herabströmenden Wasser lag, aber auch an der Schwäche, die seit Lord Wolfhards Schlägen in ihren Gliedern hauste. Verbissen kämpfte sie sich nach oben, ihre Fingernägel brachen ab, so fest krallte sie sich an die Felswand. Doch sie spürte es kaum. Immer wieder rutschte sie aus, schlug sich das Knie auf, rappelte sich wieder auf und kletterte weiter. Wenig später erklomm sie die letzte Stufe. Keuchend sah sie sich um. Der Blick auf ihre Umgebung offenbarte ein zerklüftetes Felsmassiv, welches von spitzen Steinen und Rissen durchsetzt war, in denen sich schäumendes Wasser sammelte. Nass, grau und unwirtlich tat sich der Hammerfels vor ihr auf.
Bei den Göttern, wie soll ich dieses unwegsame Gelände überwinden? Ihre Augen wanderten hoch zur Bergspitze, wo, halb verborgen hinter unüberwindbaren Mauern, die Felsenfestung lag. Ein beachtliches Stück Weg lag hinter ihr, doch noch immer ragte die Festung bedrohlich nah in den Himmel empor undmahnte sie zur Eile. Mit einem Stoßgebet an die Götter machte sich an den Abstieg. Ein Vorteil der Felsen war, dass sie durch ihre Risse und
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