Ellin
und ihre brennenden Lungen zuließen hetzte sie an den letzten Häusern der Stadt vorbei. Vor dem Haus der Sklavinnen, zwang sie ein stechender Schmerz zwischen ihren Rippen dazu, innezuhalten. Sie beugte sich vor, presste eine Hand auf die Seite und schöpfte keuchend Atem.
Yasu stand im Hof und nahm Wäsche von der Leine. »Ellin?«, rief sie überrascht. »Was macht Ihr hier?«
Ellin blickte auf. Noch immer rang sie nach Atem. »Ich soll … ich muss …«, verzweifelt suchte sie nach einer Ausrede.
»Ihr seid ja ganz außer Atem. Kommt doch herein und ruht Euch aus«, bot Yasu an.
Ellin blickte sich um. Eine Handvoll Kinder und ein paar alte Frauen beobachteten sie neugierig. Schnell huschte sie in den Hof und sank auf einen Holzschemel. Sie war schweißgebadet.
Yasu musterte sie und das Bündel. »Wo wollt Ihr denn hin?«
Ellin barg ihr Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Yasu kniete sich neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Was ist passiert? Ihr seht aus, als wäret Ihr auf der Flucht.«
Und plötzlich sprudelten die Worte aus nur so Ellin heraus, wie eine unterirdische Quelle, die endlich einen Weg an die Oberfläche gefunden hatte. Schluchzend erzählte sie vom gewaltsamen Tod ihrer Eltern, von Lord Wolfhard, von den Uthra, von Butans Tod und von Kylian.
Yasu hörte schweigend zu. Als Ellin geendet hatte, sahen sie einander an, mit so unterschiedlichen Augen, die doch dieselbe Trauer und Einsamkeit kannten. Yasu erhob sich, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte in den wolkenlosen Himmel hinauf.
»Vielleicht sollten wir unsere Lebenswege vereinen«, sagte sie.
»Wie meint Ihr das?«
Yasu sah auf Ellin hinab. Die Traurigkeit in ihren Augen war einer trotzigen Entschlossenheit gewichen. »Lasst mich mit Euch gehen.«
Ein Augenblick der Freude durchströmte Ellin, doch sogleich gewann die Vernunft wieder die Oberhand. »Das dürft Ihr nicht. Ihr wäret heimatlos, immer auf der Flucht. Und wenn man uns erwischt, wird man uns hart bestrafen, vielleicht sogar hinrichten.«
Erneut blickte Yasu in den Himmel hinauf. »Spätestens morgen Abend werde ich wieder in den Palast gerufen, um diesen Mann, von dem Ihr gesprochen habt, zu unterhalten. Die ganze Nacht ist es ihm gestattet, über mich und meinen Körper zu verfügen. Haltet Ihr das für ein lebenswertes Leben?« Eindringlich sah sie Ellin an. Ein dunkles Feuer loderte in ihren Augen. Der Ausdruck lange unterdrückter Wut über ihre Knechtschaft. »Es gibt gute Männer und es gibt Männer wie den Herrn von Veckta. Ich muss ihnen gleichermaßen dienen, egal ob ich sie verabscheue oder nicht. Wenn ich mit Euch fliehe, habe ich wenigstens die Hoffnung auf ein eigenes Leben, dann gehöre ich wieder ganz allein mir, auch wenn ich dafür sterben muss.«
Ellin erhob sich und trat auf Yasu zu. »Lasst Euch nicht aus einer Laune heraus zu etwas hinreißen, was ihr später vielleicht bereut.«
Yasu schnaubte. »Ihr wäret überrascht, wenn Ihr wüsstet, wie oft ich in meine Kissen weine und über Flucht nachdenke. Ich kann so tun, als wäre mein Leben gar nicht so schlimm, doch tief in meinem Inneren verabscheue ich jeden Augenblick, den ich mit Nosaras Gästen verbringen muss.«
Ellin betrachtete die puppenhaften Gesichtszüge der Sklavin. Von Anfang an hatte sie geahnt, dass das, was Yasu tun musste, auch durch die Gunstbeweise der Gäste nicht zu entschädigen war. »Und ihr seid sicher, dass Ihr das tun wollt?«
Yasu nickte und eilte in das Haus. Ellin blieb im Hof zurück, fassungslos über das, was soeben geschehen war. Sie hatte eine Verbündete gefunden, einfach so, im Vorbeigehen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Hoffnung keimte in ihr auf und wandelte ihre Verzweiflung in Zuversicht.
Die große, schwarze Frau, die während der Totenfeier für Geldis gesungen hatte, trat aus dem Haus und stellte sich mit verschränkten Armen vor Ellin auf. Ihr kahl rasierter Schädel glänzte in der Sonne.
»Wieso tut Ihr das?« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.
»Was tue ich denn?«, fragte Ellin.
»Ihr führt Yasu ins Verderben. Sie ist eine Sklavin! Wenn man sie erwischt, ist sie so gut wie tot.«
»Ich verstehe Eure Sorge, Manua«, sagte Ellin. »Doch ist es alleine Yasus Entscheidung. Ihr ist ein kurzes Leben in Freiheit mehr wert, als ein langes Leben in Gefangenschaft.«
Manua schnaubte. »Wegen ihrer Flucht werden wir unsere Privilegien verlieren. Man wird uns zwingen, wieder
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