Ellin
und die Hoffnung auf ein Wiedersehen für immer verloren. Erinnerungen an die Nacht des Sternenfestes erschienen vor ihrem geistigen Auge. Wie sie getanzt und sich geküsst hatten, und wie sie eng umschlungen im weichen Gras gelegen und die fallenden Sterne betrachtet hatten. Zärtliche Gesten und geflüsterte Liebesschwüre und seine warmen Lippen auf ihrer Haut. Die schönste Nacht ihres Lebens war vergangen, in der Zeit verloren, wie alles Vergängliche dieser Welt. Der Nordstern schickte sein fahles Licht zu ihr hinab. Das gleiche Licht, welches auch Kylian sehen konnte. Wenigstens etwas, das sie miteinander verband. Sie merkte kaum, wie Tränen ihre Wangen hinabrannen, erst Yasus Hand, die zärtlich über ihre Wange strich, holte sie in die Wirklichkeit zurück. »Sei nicht traurig«, wisperte sie. »Irgendwo auf dieser Welt gibt es einen Platz für uns, wir müssen ihn nur finden.«
Ellin nickte stumm.
»Denkst du an ihn?«, fragte Yasu.
Wieder ein Nicken.
»Ich weiß nicht viel über die Liebe, aber ich bin mir sicher, dass er auch an dich denkt.«
»Habt ihr das Lager miteinander geteilt?«, fragte Ellin unvermittelt und sah Yasu ernst an.
Die Sklavin wirkte unangenehm berührt. »Wieso fragst du das jetzt?«
»Weil ich Gewissheit haben möchte.«
Yasu mied ihren Blick. »Ich möchte nicht darüber sprechen Ellin. Das ist mir unangenehm.«
»Ich weiß, es ist taktlos von mir, danach zu fragen. Ich möchte nur endlich die Wahrheit erfahren. Natürlich weiß ich, dass du ihm schon früher Gesellschaft leisten musstest. Alles, was ich wissen möchte, ist, was das letzte Mal geschah.«
Nervös strich Yasu sich über das stoppelige Haar. »Ist es dir wirklich so wichtig?«
Ellin nickte und blickte Yasu flehend an. »Die Ungewissheit zermürbt mich. Ich weiß, dass ich ihn wahrscheinlich nie mehr wiedersehen werde, doch bevor ich ihn vergessen kann, muss ich wissen, ob er die Wahrheit gesprochen hat.«
Yasu seufzte. »Also gut. Ich erzähle dir von der Nacht.« Sie riss ein paar Blätter ab und begann, sie zu zerrupfen. »Schon als ich seine Kammer betrat, wirkte er angespannt und abwesend. Deshalb habe ich vorgeschlagen zu baden, was normalerweise allen Männern gefällt. Doch im Badebecken saß er einfach nur da und strich schweigend über die Blüten im Wasser. Er sah mich nicht einmal an. Auch mein Angebot, ihn zu waschen, lehnte er ab. Also habe ich für ihn getanzt. Er hat mir zwar zugesehen, doch wirklich gesehen hat er mich nicht. Es war, als blicke er durch mich hindurch. Nach dem Tanz hat er sich angekleidet, mich um Verzeihung gebeten und ist gegangen.«
»Wirklich?«
Yasu nickte. »Das ist die Wahrheit. Ich hatte Angst, dass mich die Herrscherin bestrafen würde, doch sie übergab mir stattdessen einen Armreif, den er für mich dagelassen hatte. Er hatte sie glauben lassen, eine angenehme Nacht mit mir verbracht zu haben.«
Ein leises Lächeln huschte über Ellins Gesicht, begleitet von einem seltsamen Gefühl, das sich in ihrer Brust ausbreitete, warm und ziehend. Ein Anflug von Genugtuung gepaart mit Erleichterung und Wehmut.
»Sag Ellin, hast du jemals die Zeichen auf seiner Haut gesehen?«, fragte Yasu.
»Ja.«
»Was bedeuten sie?«
»Das sind die Zeichen seiner Herkunft. Er trägt sie seit seiner Geburt.«
Yasu schaute verständnislos, fragte jedoch nicht weiter nach. »Weißt du, ich beneide dich«, sagte sie plötzlich.
Überrascht blickte Ellin auf. »Wieso?«
»Du kannst lieben und geliebt werden. Ich bezweifle, dass es mir vergönnt sein wird, diese Erfahrung zu machen. Ich werde für den Rest meines Lebens allein bleiben.«
Betroffen griff Ellin nach ihrer Hand. »Du bist nicht allein. Ich werde bei dir bleiben.«
»Versprichst du das?« Yasus Mandelaugen sahen sie hoffnungsvoll an.
»Ich verspreche es.«
»Lass uns einen Pakt schließen«, schlug Yasu vor. »Wir versprechen, füreinander zu sorgen, wie es Gefährten auf Lebenszeit tun und einander niemals im Stich zu lassen.«
Ellin nickte. »Gefährtinnen auf Lebenszeit – das hört sich gut an.« Sie umarmten einander, stachen sich dann mit einem Dorn in die Hand und verschlangen ihre Finger miteinander, damit sich ihr Blut vermischte.
»Gefährtinnen auf Lebenszeit«, schwor Yasu.
»Gefährtinnen auf Lebenszeit«, stimmte Ellin zu.
Die Nacht verging ereignislos. Am Morgen kletterten sie den Baum hinab und durchwanderten die Ebene. Da sie hungrig waren, suchten sie nach essbaren Früchten, Samen und Wurzeln,
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