Ellin
schnell, wie es gekommen war.
Hierfür wird er einen hohen Preis bezahlen , schoss es ihr durch den Kopf.
Von einem Augenblick zum Nächsten wurde die Welt schwarz. Der Nordstern war verblüht, der lichtlose Teil der Nacht brach an.
Sie legte sich an Kylians Seite, den Kopf an seine Schulter gelehnt und wartete auf den Morgen. Der Durst war fast unerträglich, genauso wie die stickige Wärme und die Sorge um den Mann, den sie mehr liebte, als sie es je für möglich gehalten hätte. Während der Nacht hielt sie seine Hand, lauschte auf seine Atemzüge und träumte von Wasser.
Gegen Morgen wurde die Hitze unerträglich. Besorgt blickte Ellin auf die Morgenröte, die durch die Öffnung schimmerte. Sobald die große Sonne aufging, würde sich die Höhle in einen Glutofen verwandeln. Sie mussten ihren Unterschlupf schleunigst verlassen.
Ächzend setzte sie sich auf und tastete nach Kylians Puls. Er war noch immer zu schnell, aber schon kräftiger.
»Kylian«, rief sie und rüttelte an seiner Schulter. Wortlos bewegte er die rissigen Lippen, krächzte wie ein Verdurstender.
»Wach auf. Wir müssen die Höhle verlassen.«
Er zuckte, rührte sich jedoch nicht.
Erneut rüttelte sie an ihm. »Bitte Kylian, du musst aufwachen, sonst verglühen wir.« Ihre Augen brannten, wollten sich mit Tränen füllen. Sie rappelte sich auf, schob ihre Hände unter seine Arme und versuchte, ihn zur Öffnung zu ziehen. Sein schlaffer Leib hing in ihrem Griff wie ein erlegtes Bisott, bleischwer und massig. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, zerrte sie ihn zu dem Loch im Boden. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte. Flimmernde Hitze brannte sich durch ihre Kleider.
Kylian versuchte, die Augen zu öffnen, doch seine Lider flackerten und fielen immer wieder zu.
»Stoß dich mit den Beinen ab«, bat Ellin schluchzend. Benommen stemmte er die Fersen in den Boden und schob. Neben der Öffnung hielt sie inne, hockte sich zu seinen Füßen und stieß ihn Stück für Stück vorwärts. Endlich rutschte er in den Spalt hinein und verschwand. Sie hörte, wie er über den rauen Fels schabte, kurz darauf einen dumpfen Schlag, als er auf den Boden der unteren Höhle prallte. Sie spürte einen brennenden Schmerz im Nacken, wo ein Sonnenstrahl auf ihre nackte Haut traf. Schnell schob sie sich durch die Öffnung und rutschte ebenfalls nach unten. Hart prallten ihre Füße auf den Fels. Ein stechender Schmerz jagte durch ihre Beine den Rücken hinauf. Kylian lag bewusstlos am Boden, er hatte eine Platzwunde am Hinterkopf. Blut sickerte in sein Haar. Mit letzter Kraft riss sie einen Fetzen von seinem Untergewand ab und drückte es auf die Wunde, bevor sie keuchend zu Boden sank. Außerstande sich auch nur einen Fingerbreit zu rühren.
Wir werden hier unten sterben , dachte sie, bevor sie in gnädige Bewusstlosigkeit glitt.
»Ellin? Kylian?«, leise Stimmen, unendlich fern. Ein Lichtschein streifte ihre geschlossenen Augen. Ihr Körper fühlte sich seltsam schwerelos und taub an. War sie tot?
»Ellin? Kylian?«, erneut erklang das Rufen, lauter diesmal.
Wir sind hier , wollte sie sagen, doch ihre trockene Kehle konnte keinen Laut produzieren, nur ein Krächzen, das ungehört hinter den dicken Mauern verhallte.
»Sie sind nicht hier«, hörte sie jemanden sagen. Jesh? Nuelia? Ellins Finger zuckten, sie musste sich bemerkbar machen, bevor sie sich entfernten. Sie öffnete die Augen. Es war so dunkel, dass sie sie auch genauso gut hätte zulassen können. Ihre Kehle brannte. Die Zunge fühlte sich an wie ein dicker, pelziger Wurm. Sie versuchte, ihre Füße zu bewegen, doch ihr Wille drang nicht bis zu ihren Beinen vor.
Wieder ein Lichtschein. »Wartet! Hier liegt eine Fackel«, sagte eine Stimme.
Ellin öffnete die Lippen. Wir sind hier , versuchte sie zu rufen. Ein ersticktes »wwwhhhrrr«, kam aus ihrem Mund. Sie spürte, wie ihr Verstand mit der drohenden Bewusstlosigkeit rang. Schatten legten sich auf ihre Augen, dunkler und tiefer als die Höhle um sie herum und zogen sie in den Abgrund. In rasender Geschwindigkeit glitt sie durch den Tunnel, in der Ferne ein Licht, silbrig und strahlend. Es rief und lockte sie. Neugierig folgte sie dem verlockenden Glanz, wollte eintauchen in das verheißungsvolle Gleißen, ihren gepeinigten Leib verlassen, der sich so hartnäckig an das Leben klammerte.
Lass mich frei , bat sie, doch das wunde Fleisch hielt sie erbarmungslos fest, stemmte sich gegen den Sog und zog sie zurück in die
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