Ellin
Körper und trugen aus Knochen und Federn gefertigten Kopfschmuck, doch hinter ihrem barbarischen Äußeren verbarg sich eine gesittete Lebensweise mit strengen Regeln sowie eine reiche Kultur. Dank des fruchtbaren Bodens und der großen Weideflächen waren viele Thalaner Bauern und Viehzüchter. Ganze Sippen zogen umher und trieben die Viehherden über das Land oder lebten inmitten ihrer Felder. Sie belieferten Kismahelia mit Fleisch, Früchten, Gemüse und Holz. Kismahelia revanchierte sich mit feinen Stoffen, filigranem Schmuck, Papier und Fisch. In regelmäßigen Abständen fragte die Herrin von Thal bei Fortas an, um eine ihrer fünf Töchter mit ihm zu verbünden, doch so ansehnlich die jungen Frauen auch waren, so verspürte der Herrscher scheinbar nicht das geringste Bedürfnis danach, den Bund mit einer von ihnen zu schließen. Dennoch hoffte er, dass ihm der Herr und die Herrin von Tahl eine Gruppe Thalanischer Buschstreiter zur Verfügung stellen würden, denn sie kannten sich hervorragend in Wäldern aus und waren dafür ausgebildet, sich unbemerkt an Feinde heranzupirschen. Sie allein waren in der Lage, die Schattenkrieger, die Huanacos Wälder bewachten, auszuschalten und so den Weg für Fortas’ Soldaten zu ebnen.
Da Kylian über Kampfgeschick verfügte, nahm er unfreiwillig einen wichtigen Platz im Kreis von Fortas’ Beratern ein und bekam zudem einen hundert Mann umfassenden Soldatentrupp zugeteilt, den er auf Trab bringen und anschließend in die Schlacht führen sollte. Da er noch immer Fortas’ Leibeigener war, konnte er sich dem Befehl nicht widersetzen, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte. Auch von Jesh und Nuelia wurde erwartet, dass sie sich an dem Feldzug beteiligten, doch waren sie nicht gezwungen, einen wenig kampferprobten Soldatentrupp zu führen.
Während die Uthra schon im Morgengrauen zu den Waffenübungen eilten, schlief Ellin aus und wanderte anschließend durch den Palast oder schlenderte durch die Straßen Kismahelias. Allerorts steckten die Menschen die Köpfe zusammen und tuschelten. Überall konnte man geflüsterte Worte vernehmen, die Anspannung und Angst spüren, die die Menschen aufgrund des bevorstehenden Gefechts befallen hatte. Viele fürchteten sich vor einem Krieg mit Huanaco, denn Fortas war vieles, aber keinesfalls ein ruhmreicher Feldherr. Sein Heer bestand aus einer Ansammlung gelangweilter Gecken, die die Zeit seit dem Angriff der Inselräuber eher in den Betten willfähriger Frauen denn mit Waffenübungen verbracht hatten. Zu lange schon hatte das Land in Frieden gelebt, umgeben von Verbündeten oder dem unwirtlichen Klippen, wo nur die Nox lebten, die sich nicht für menschliche Belange interessierten. Das einfache Inselvolk vor der Küste Kismahelias war indessen froh, wenn es unbehelligt blieb. Nur die Alten erinnerten sich an die Tage von Nosaras und Fortas’ Machtübernahme, an die Teilung des Reiches und die Angst vor einem Geschwisterkrieg. Die nachfolgende Generation wuchs auf in Wohlstand und Frieden, das einstmals vereinte Reich nur eine Geschichte oder eine vage Erinnerung in ihren Köpfen. Doch nun, völlig unvermittelt, stand das Land vor einem Krieg. Eine Veränderung kündigte sich an und sie brachte einen neuen Herrscher hervor. Einen entschlossenen, mutigen Herrscher, der von der Balustrade seines Palastes aus eine bewegende Rede über Verrat und Vergeltung und die Zukunft Kismahelias hielt. Seine Untertanen jubelten ihm zu, zuerst halbherzig doch am Ende seiner Ansprache erstrahlten ihre Augen in ehrfürchtigem Glanz und auch der größte Zweifler hob seine Hände und pries den göttlichen Herrscher Fortas al Surani.
Am zwölften Tag nach Belas Rückkehr führte Fortas seine Streitmacht durch die Straßen Kismahelias. Hoch erhobenen Hauptes ritt er voran, gewandet in einer weißen Lederrüstung, die aus der Haut der Schneekatze gefertigt war. Die Menschen verneigten sich, ehrfürchtig und demütig. Fast jeder opferte den Göttern, was er gerade noch entbehren konnte und betete um die siegreiche Rückkehr ihres Herrschers, Fortas al Surani, der so edel, schön und von göttlichem Geblüt war.
Ellin folgte dem Heer im Gesindetross. Seit der Nacht des Gewittersturms hatte sie Kylian kaum gesehen und war nicht ein einziges Mal mit ihm alleine gewesen. Als Leibeigener durfte er nicht gehen, wohin er wollte und hatte auch keinen Anspruch auf freie Zeit. Wenn sie ihn sah, suchte sie nach Anzeichen in seinem Gesicht, die auf eine
Weitere Kostenlose Bücher