Ellin
stellte Kylian fest, dass sie versuchten, sich aufzulösen, doch etwas hinderte sie daran. Qualvolles Stöhnen, Schreie, Flehen. Entsetzt wich er zurück. Eiseskälte kroch seinen Rücken hinauf. Die Haare an seinem Körper stellten sich auf.
»Suchst du mich?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Kylian fuhr herum. Die Wesen gerieten in Aufruhr. » Herrin «, riefen sie. » Nosara, unsere Gebieterin, sie ist hier. «
Nosara stand im Schatten des Tunnels, eine verängstigte Zofe und einen stummen Palastdiener hinter sich. Ihre blasse Haut schimmerte wie Perlen im nächtlichen Sternenglanz.
»Ich wusste es. Wenn mich jemand findet, dann du«, sagte sie. »Schon immer hatten wir eine besondere Verbindung zueinander.«
»Ihr habt mich belogen und benutzt, wieso?«, stieß Kylian ohne Umschweife hervor.
Nosara trat lautlos aus dem Schatten, schön wie eh und je. Das weiße Gewand floss an ihrem Körper hinab wie ein Wasserfall aus Seide.
Sie ist hier, unsere Herrin, gebiete über uns, befreit uns , wisperten die gefangenen Tulpa.
Nosara bedachte ihn mit einem nachsichtigen Lächeln, als wäre er ein Kind, das aus Unwissenheit einen Fehler begangen hatte. »Ich bin eine Herrscherin, Kylian. Manchmal muss eine Herrscherin Dinge tun, die für andere nur schwer verständlich sind. Ich nahm an, du würdest meine Gründe verstehen.«
»Wie soll ich Euch verstehen? Ihr habt mich Eurem Bruder zum Fraß vorgeworfen, wohl wissend, dass Ihr Euren Teil der Abmachung nicht würdet einhalten können.«
Ihr Lächeln verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war, wich dem gebieterischen Herrscherblick. »Du hast deinen Teil der Abmachung ebenso wenig eingehalten. Erneut hast du mich bitter enttäuscht.« Sie hob ihre Hand, schob seine Haare zur Seite und entblößte das Brandzeichen. »Du gehörst jetzt meinem Bruder, wie ich sehe. Dabei hast du mir die Treue geschworen ‒ bis in den Tod.«
Kylian schnaubte verächtlich. »Vor nicht allzu langer Zeit hätte mir Eure Enttäuschung noch den Schlaf geraubt und ich hätte alles in meiner Macht stehende getan, um Euch zufriedenzustellen. Diese Zeiten sind vorbei. Ihr habt keine Macht mehr über mich.«
Zorn umwölkte ihr Gesicht, doch sogleich lächelte sie wieder. Sie griff nach seiner Hand und legte sie an ihr Herz. Kühl war ihre Haut unter dem dünnen Stoff und doch brannte sie sich in Kylians Finger wie ein glühendes Eisen.
»Unsere Herzen waren eins, mein Lieber, bis dieses blauäugige Mädchen deines aufgeweicht und dich in einen Schwächling verwandelt hat. Wie konntest du das zulassen?« Sie hielt ihn mit ihrem Blick gefangen, verlockte ihn mit blassrosa Lippen und dem Ansatz ihrer Brüste unter seiner Hand.
Kommt zu uns, befreit uns, Herrin, Gebieterin.
»Wie konntest du annehmen, dass ich diesen Verrat ungesühnt lasse?«, flüsterte sie. Ihre Stimme so sanft, wie eine zärtliche Berührung.
Kylian blinzelte, entzog sich ihrem Griff und wich zurück. »Welcher Verrat? Zwischen uns war nichts. Weder ward Ihr meine Gefährtin, noch waren wir in Freundschaft miteinander verbunden. Es machte Euch nichts aus, mich zum Opfer Eurer Intrige zu machen. Warum also sollte ich für Euch in den Tod gehen?«
Komm zu uns, wir lieben dich, wir verehren dich, du bist unsere Herrin. Gebiete über uns.
Das Flehen der Tulpa ignorierend, runzelte Nosara die Stirn, unwillig, fast schon zornig. »Oh doch, du weißt, dass es ein Band gab zwischen uns, wenn auch kein körperliches. Ich war deine Gebieterin und du liebtest mich, genauso sehr wie ich dich liebte. Ich mag Dir unrecht getan haben, doch vergiss nicht, dass ich eine Herrscherin bin. Eine Herrscherin darf keine Rücksicht auf persönliche Gefühle nehmen.«
Kylian betrachtete sie bestürzt. Hatte sie recht? War die Plänkelei zwischen ihnen mehr gewesen als das Spiel mit ihrer Eitelkeit?
»Das ist nicht wahr. Ihr ward meine Herrin und ich Euer Untertan, mehr nicht«, entgegnete er verunsichert.
Nosara trat auf ihn zu. Ganz nah. »Sieh in dein Herz, Kylian. Es war meins, lange bevor es ihres war.«
Er schluckte trocken. Ihr blumiger Duft hüllte ihn ein wie eine Wolke, betörte ihn wie der Duft der Talanis.
»Hilf mir, mein Land zurückzugewinnen«, fuhr sie fort. »Wir befreien die Tulpa und vernichten meinen Bruder. Dann wirst du an meiner Seite herrschen, als mein Gefährte.« Ihre Lippen streiften seine Wange. Noch nie hatte sie ihn so berührt. »Ich alleine kann die Tulpa nicht beherrschen, doch mit deiner Kraft und
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