Ellin
dem Licht, dass dein Gott dir schenkte, können wir sie führen. Stell dir vor, Kylian, ein Uthra und ein Mensch göttlichen Geblüts gemeinsam auf dem Thron. Niemand würde es mehr wagen, Hand an deinesgleichen zu legen. Du könntest Rache nehmen für das, was dir die Menschen angetan haben.«
Gebieterin. Befrei uns, lass uns hinaus, wir kämpfen für dich.
Die Stimmen der Tulpa schwollen an. Aufgeregt schabten sie über die Gitterstäbe, kratzten Spuren in die Höhlenwand.
Wie erstarrt lauschte Kylian Nosaras Worten, die so zärtlich und verführerisch klangen. Fast zu spät sah er das Blitzen in ihrer Hand. Instinktiv sprang er zur Seite, hob sein Schwert und stieß es nach vorn. Der Dolch in Nosaras Hand zerschnitt sein Wams und schlitzte die Haut auf. Blut quoll hervor. Doch auch Kylians Schwert hatte sein Ziel gefunden. Es steckte in Nosaras Bauch. Das weiße Gewand färbte sich rasend schnell rot. Die Zofe stieß einen spitzen Schrei aus. Der Palastdiener zog den Säbel und stürmte auf ihn zu.
Kylian deutete auf das Blut, dass Nosaras Gewand tränkte. »Halt ein. Du kannst sie nicht retten. Es ist zu spät.«
Der Diener stoppte abrupt und starrte mit schreckensweiten Augen auf seine Herrin. Die Zofe sank wimmernd zu Boden. Nosara indessen blickte fassungslos an sich hinab. Der Dolch rutschte aus ihrer Hand und fiel klirrend zu Boden. Die Tulpa verfielen in irre Raserei, warfen sich herum, schrien, jaulten und rüttelten an den Gitterstäben. Eine Symphonie des Grauens hallte von den Wänden wider.
Nosaras Beine knickten unter ihr weg. Kylian fing sie auf und bettete sie auf den Boden. Mit einem Ruck zog er das Schwert aus ihrem Leib, damit sie schneller starb und nicht länger als nötig leiden musste. Sie lag still wie eine Statue, gab keinen Laut von sich und starb, wie sie gelebt hatte. Würdevoll und ungerührt.
Nur ihre Augen verrieten ihre Angst.
»Habt keine Furcht«, sagte Kylian. »Gleich ist es vorbei.«
Die Schreie der Tulpa erstarben, verebbten in Röcheln und endeten schließlich in einem wispernden Hauch, der verwehte wie Wind. Kylian hielt Nosaras Kopf. Der Glanz ihrer Augen verblasste bereits. Sie hob die Hand und suchte nach seiner. Als er sie ergriff, lächelte sie, blickte zur Decke und starb.
Kylian sah auf. Die Höhle hinter den Gitterstäben war leer.
34
F est verschnürt lag Ellin auf dem Pferderücken. Der Sattelknauf bohrte sich in ihren Bauch. Die Seile rieben an ihrer Haut. Die Männer zeigten sich ungewöhnlich schweigsam, obwohl sie doch allen Grund zur Freude gehabt hätten. Immerhin hatten sie die ersehnte Leibdienerin im Gepäck und würden sicher eine großzügige Belohnung erhalten. Ellin nahm an, dass ihnen der Kampf noch in den Knochen steckte und sie müde und griesgrämig machte. Resigniert ließ sie den Kopf hängen und gab sich ihrem Elend hin. Weder Kylian noch Nuelia oder Jesh wussten, dass sie sich in der Gewalt von Lord Wolfhards Soldaten befand, sie wussten ja nicht einmal, dass sie Fortas’ Heer begleitet hatte. So sehr sie sich auch den Kopf zermarterte, sie fand keinen Ausweg. Diesmal würde kein Kylian bei Nacht in das Lager schleichen und ihr zur Flucht verhelfen. Diesmal war sie wirklich allein.
Die Männer behandelten sie den Umständen entsprechend gut. Sie gaben ihr Essen und Trinken und erlaubten ihr, im Liegen zu schlafen. Doch je länger sie unterwegs waren, umso zudringlicher wurden ihre Blicke. Langsam aber sicher gewann die Erleichterung darüber, überlebt zu haben, die Oberhand und der Wunsch, dies entsprechend zu feiern. Ellin hoffte inständig, dass Lord Wolfhards Befehl, sie nicht anzurühren, weiterhin Gültigkeit besaß. Und sie hoffte, dass die Soldaten nicht auf die Idee kommen würden, sie trotzdem mit Gewalt zu nehmen, nur um anschließen zu behaupten, dass es ein anderer gewesen war. Immerhin war sie schon vor geraumer Zeit aus der Felsenfestung geflohen.
Am vierten Tag ihrer Gefangenschaft war sie kaum noch in der Lage, ungestört ihre Notdurft zu verrichten oder sich zu waschen. Die begehrlichen Blicke der Soldaten gepaart mit unsittlichen Bemerkungen folgten ihr auf Schritt und Tritt, sodass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich nicht mehr zu waschen und nur wenig zu trinken, damit sie nicht so oft ihre Notdurft verrichten musste. Am Mittag des fünften Tages passierten sie einen Weiler, und obwohl sie hätten weiterreiten können, hielten sie inne. Aufgeregt betrachteten die Männer die Hütten, die um ein
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