Ellin
im Schatten des Berges, schlugen sie das letzte Nachtlager auf. Die Felsenfestung starrte auf sie hinab wie ein blutrünstiger Dämon, der auf seine langersehnte Beute wartete. Ellin wagte nicht, sie anzusehen. Bilder marterten ihren Geist, von Lord Wolfhards gierigem Blick, seinem haarigen Leib, der Rute in seiner Hand und von der Steilküste im Süden, wo die zum Tode verurteilten in die Tiefe gestürzt wurden. Verzweifelt versuchte sie, die düsteren Gedanken zu verdrängen, doch bei der Vorstellung, welche Qualen auf sie warteten, stieg Übelkeit in ihr auf und stürzte sie regelmäßig in kopflose Panik. Jeder Atemzug brachte sie näher zur Festung. Sie wünschte sich, ihr Geist könnte ihren Körper verlassen und entfliehen. Die ganze Nacht flehte sie die Götter um Rettung oder ihren Tod an, doch als der Morgen graute, war sie weder frei noch tot.
Die Soldaten brachen früh auf und hetzten die Pferde den Berg hinauf, Peitschen knallend und keuchend.
Der Aufstieg verging in einem Nebel aus Angst und Verzweiflung. Gerade eben waren sie aufgebrochen und im nächsten Augenblick kam das Tor in Sicht. Ellin lugte zwischen ihren zusammengekniffenen Augenlidern hervor. Ihre Kehle war staubtrocken und ihr Bauch schmerzte vor Hunger und Durst.
Die Soldaten hielten inne. Ludolf stieg vom Pferd und hämmerte gegen das Tor, ein Laut der Ellin erzittern ließ. Die Torwachen öffneten und begrüßten die Ankömmlinge. Als sie Ellin erblickten, pfiffen sie anerkennend und beglückwünschten die Männer zu ihrem Fang. Ellin wurde vom Pferd gezerrt und auf die Füße gestellt, doch ihre Beine waren taub und so sackte sie zu Boden. Das Gesinde hielt inne und starrte sie an, manche mitleidig, andere eher feindselig. Ein Soldat brüllte irgendetwas. Sie hörte gar nicht hin. In ihren Ohren rauschte das Blut, pochte gegen ihre Schädeldecke und sie schlotterte am ganzen Leib. Plötzlich verfielen alle in hektische Betriebsamkeit. Soldaten hasteten vorbei, Menschen spähten aus den Fenstern, Türen wurden geöffnet und wieder geschlossen. Ein massiger Mann trat in den Hof und kam mit großen Schritten auf sie zu, sein Umhang flatterte im Wind. Ellin wurde auf die Füße gezerrt. Jemand stützte sie. Wie durch einen Schleier sah sie Lord Wolfhards Gestalt. Sein Gesicht mit dem grausamen Grinsen. Die Rute an seinem Gurt. Die Welt um sie herum verblasste, der Boden geriet in Schräglage und rutschte weg. Dunkelheit senkte sich auf ihre Sinne.
Kaltes Wasser ergoss sich über ihren Kopfund holte sie in die Wirklichkeit zurück, eine Wirklichkeit, in die sie nur widerwillig zurückkehrte. Sie öffnete die Augen und sah sich um. Man hatte sie entkleidet und in einen Zuber gesetzt. Eine rundliche Magd war dabei, ihn mit Wasser zu füllen.
»Was tut Ihr da?«, fragte Ellin.
»Befehl von Lord Wolfhard. Ihr sollt gebadet und in seine Gemächer gebracht werden.«
Ein weiterer Wasserschwall ergoss sich über ihr. Sie schluckte und prustete. »Könnt Ihr das Wasser nicht wenigstens erwärmen?«
Die Magd schnaubte abfällig, ergriff einen weiteren Eimer und leerte ihn in den Zuber. Bibbernd schlang Ellin die Arme um sich.
»Wascht Euch«, befahl die Magd, warf ein Stück Gallus in das Wasser und ergriff einen grobzinkigen Kamm. Bevor Ellin sich wehren konnte, grabschte sie nach ihren Locken und zerrte den Kamm hindurch. Ellin schrie auf, als ihr Kopf brutal nach hinten gerissen wurde.
»Ich mache das selbst«, fauchte sie und entriss der Magd den Kamm.
Diese zuckte mit den Schultern. »Wie Ihr wollt, doch beeilt Euch. Bald werden die Wachen kommen, um Euch abzuholen.«
Unter ihrem strengen Blick seifte Ellin sich ein und begann dann, die Knoten aus ihren Haaren zu lösen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Affra stürmte in die Kammer. Hektische rote Flecken zierten ihr Gesicht. In der Hand trug sie ein gefaltetes Kleid und einen Becher. »Hinaus mit dir«, fuhr sie die Magd an.
Diese schob trotzig die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Affra stellte den Becher ab, holte aus und schlug ihr ins Gesicht. »Wage nicht, dich meinen Befehlen zu widersetzen.«
Die Magd hielt sich die Wange und blitzte Affra zornig an. »Wartet nur. Wenn ich dem Herrn davon berichte, wird es Euch schlecht ergehen.«
Kurzerhand packte die Köchin sie am Arm, zerrte sie hinaus und warf die Tür zu.
»Ellin.« Sie nahm dem Becher wieder zur Hand und trat neben den Zuber. »Wie haben sie dich nur in die Finger bekommen,
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