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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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natürlich nicht sagen, dass sie glaubte, dass Ellin zum Land ihrer Mutter zurückkehren würde. Wenn er das Mädchen gut kannte, würde er sicher von alleine darauf kommen.
    Skavos riss sie aus ihren Gedanken. »Was starrt Ihr ihm nach? Habt Ihr den Verstand verloren, mit einem jungen Gecken zu plänkeln?«
    Affra musterte Skavos. Er wirkte gehetzt und noch missmutiger als sonst. »Warum seid Ihr schlechter Stimmung, Skavos? Fürchtet Ihr um Eure Stellung, jetzt wo Euer Herr tot ist?«
    »Schweigt still, Weib. Ich werde dem neuen Herrn ebenso gut dienen wie Lord Wolfhard. In welcher Stellung auch immer.«
    Affra grinste abfällig. »Seid Euch dessen nicht so sicher.« Sie ließ ihn stehen und ging davon. Statt in die Küche zu gehen und sich den Essensvorbereitungen zu widmen, stapfte sie in ihre Kammer hinauf und begutachtete ihre wenigen Habseligkeiten.
    Sollte sie die Festung wirklich verlassen? War das nicht abwegig und überstürzt? Andererseits ‒ sie war es leid, den Launen der hohen Herren ausgeliefert zu sein und sie war die Felsenfestung leid, die sich so kalt und düster über das unwirtliche Land um sie herum erhob. Lieber wollte sie Ellin dabei helfen, ihren Grund und Boden zu bewirtschaften und dafür sorgen, dass sie keiner übers Ohr haute.
    Ja, es war an der Zeit für ein Wagnis, bevor das Alter einen Neuanfang verhindern und sie für immer an diesem freudlosen Ort binden würde. Hastig packte sie ihre Sachen zusammen, schnallte sich das Bündel auf den Rücken und verließ ihre Kammer.
38
    E llin irrte umher, ziellos wie ein Vagabund. Sie schlief auf Bäumen, aß, was sie am Wegrand fand und wusch sich in Bächen und Seen. Weder dachte sie an das Vergangene noch an die Zukunft. Sie lebte in den Tag hinein wie ein wildes Geschöpf. Ansiedlungen und Weilern blieb sie fern und auch die Wege mied sie, wann immer es möglich war. Die Urkunde in ihrer Hand war mittlerweile verschmutzt und an den Rändern angestoßen, doch sie hielt sie fest umklammert und betrachtete sie jeden Tag.
    Sie wusste, dass sie früher oder später nach Hause zurückkehren musste.
    Aus irgendeinem Grund fürchtete sie sich davor.
    Trotz der Umwege, und ohne dass sie sich bewusst dafür entschieden hatte, näherte sie sich dem Gerstfeldtal, umrundete es, wie ein Jäger die Beute, ging bis über die Grenze nach Thal, und kehrte wieder zurück. Eines frühen Morgens erklomm sie einen Hügel und blickte auf das schlafende Gerstfeldtal hinab. Sanft wiegte sich das hohe Gras der Weideflächen im Wind. Linker Hand zogen sich die Felder dahin. Die Blätter der Gerstpalmen rauschten. Ein vertrauter Laut, der sie schmerzhaft an ihre Kindheit erinnerte. Der Weiler, in dem ihre Mume Tilda wohnte, schmiegte sich an den Fuß des Hügels. Still und anheimelnd lagen die Häuser im Morgenlicht. Irgendwo am östlichen Rand der Felder befand sich der Hof, auf dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, nun bewohnt von einem fremden Lehnsherrn. Unwillkürlich traten ihr Tränen in die Augen. Das tiefe Sehnen nach einer Familie zerrte an ihrem Herzen. Unschlüssig setzte sie sich in das feuchte Gras und betrachtete die Ansiedlung. Dann zog sie die Urkunde hervor, rollte sie auf und las wohl zum hundertsten Mal, was darauf geschrieben stand, nur um anschließend erneut ihre Augen über die Felder und Weiden wandern zu lassen. Zu ihren Füßen lag ihr Land. Sie war die Herrin vom Gerstfeldtal. Unglaublich. Vorsichtig rollte sie die Urkunde zusammen, steckte sie in ihren Gürtel und erhob sich.
    Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen.
    Das kleine Haus mit dem umzäunten Garten und dem Stall wirkte vertraut und fremd zugleich. Oft hatte sie die Tage bei ihrer Mume verbracht und ihr bei der Gartenarbeit geholfen. Sie fasste Mut und klopfte. Stimmen wurden laut, ein Stuhl schabte über den Boden. Jemand entriegelte die Tür.
    »Sei gegrüßt, Mume«, sagte Ellin, als Tildas Antlitz in der Tür erschien. Mehr denn je glich die Mume Ellins Vater mit den rotbraunen Locken und den Sommersprossen auf den Wangen.
    Tilda riss die Augen auf. »Bist du das Ellin?«
    Sie nickte, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Oh Ellin, du lebst. Welch Freude.« Tilda zog sie in ihre Arme und drückte sie fest. Hinter ihr schoben sich zwei pausbäckige Jungen aus der Tür und betrachteten sie neugierig. Sie ähnelten einander wie ein Ei dem anderen.
    »Kinder, das ist eure Mume Ellin«, sagte Tilda.
    Ellin wischte die Tränen fort und kniete sich vor die beiden Jungen. »Sind

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