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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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auf. »Warum schaust du mich an?«, fragte sie.
    »Warum schläfst du nicht?«, erwiderte Ellin erschrocken.
    »Ich schlafe nicht, ich tue nur, was du tust.«
    »Bist du denn nicht müde?«
    »Nein.«
    Unbehaglich rutschte Ellin von ihr ab und starrte in die Baumwipfel.
    »Willst du, dass ich schlafe?«, fragte das Mädchen.
    »Ja.«
    Eine Weile lagen sie schweigend nebeneinander. Ellin war schon fast eingeschlafen, als sie ein Geräusch am Fuße des Baumes aufhorchen ließ. Ein leises Grollen und Zischen. Der durchdringende Geruch nach modrigem Laub drang bis zu ihnen hinauf.
    »Was ist das?«, fragte das Mädchen.
    »Eine gefährliche Bestie. Als ich das erste Mal diesen Wald durchquerte, hätte sie mich beinahe getötet.«
    Das Mädchen riss die Augen auf. »Hattest du Angst?«
    »Große Angst und ich war sehr krank.«
    Zaghaft berührte sie Ellins Wange. »Das tut mir leid. Soll ich es für dich töten?«
    Ellin war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit die Tulpa das Töten anbot, als wäre es nichts weiter als eine kleine Gefälligkeit. »Könntest du das denn?«
    Das Mädchen kicherte. »Natürlich.« Im nächsten Moment sprang sie vom Baum.
    Ellin beugte sich über den Rand. Furchtlos stürzte sich das Mädchen auf die Kreatur, sprang auf ihren Rücken und umklammerte ihren Hals. Die Kreatur heulte auf und schnappte nach ihr, dann bäumte sie sich auf und versuchte, das Mädchen abzuwerfen. Als auch dies nicht gelang, hechtete sie in die Dunkelheit davon. Angespannt spähte Ellin zwischen den Bäumen hindurch. Sie konnte nichts sehen, hörte nur das Knurren und Schreien, das Brechen von Ästen und dann ein wildes Geheul. Ob es das Mädchen oder die Bestie war, die da heulte, konnte sie nicht sagen. Vögel flatterten erschrocken auf und jagten davon. Dann wurde es still.
    Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Nacht. War das Mädchen tot?
    »Sie wird uns nicht mehr belästigen«, sagte eine Stimme hinter ihr.
    Erschrocken fuhr Ellin herum. Das Mädchen zog sich über den Rand, ein breites Grinsen auf den Lippen. Sie sah aus wie zuvor, ihr Kleid war ordentlich und sauber. Nur der schwere, süßliche Duft nach modrigem Laub und Blut, den sie mit sich trug, verriet den Kampf.
    »Ist es tot?«, fragte Ellin unsinnigerweise.
    »Ja, sie ist tot, sie und all ihre Jungen«, erwiderte das Mädchen zufrieden.
    Ellin riss die Augen auf. »Ihre Jungen? Hatte die Kreatur Nachwuchs?«
    Das Mädchen legte sich auf den Rücken und faltete die Hände über dem Bauch. »Noch nicht, aber es wäre sehr bald so weit gewesen.«
    Etwas Bitteres stieg in Ellins Kehle. »Sie war trächtig?«
    »Sie hatte Jungen im Bauch. Ich habe jedes Einzelne herausgeholt und getötet.«
    Ellin erbleichte. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf die Hände des Mädchens. Sie waren sauber, kein Schmutz, kein Blut.
    »Wie konntest du das tun?«, fragte sie. »Das war unbarmherzig und grausam.«
    Erstaunt sah das Mädchen sie an. »Aber ich dachte, ich sollte sie töten, damit sie dir nichts mehr zuleide tun kann.«
    Ellin schüttelte den Kopf. Wie sollte sie diesem Wesen erklären, was Mitleid und Erbarmen bedeutete? Sie war kein Mensch, nur ein abgetrennter Teil ihres Geistes, in eine menschliche Hülle gebannt. Dazu verdammt, ihr zu folgen. Sie war außerstande, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, kannte keine Regeln, nur den Willen ihrer Schöpferin.
    Betreten richtete das Mädchen sich auf. »Ich habe es für dich getan. Willst du jetzt nicht mehr meine Freundin sein?« In ihren Augen stand Enttäuschung, aber auch Zorn. Denselben Zorn, den Ellin auch in Unans Augen gesehen hatte. Sie überwand sich und griff nach ihrer Hand. »Natürlich will ich noch deine Freundin sein.«
    Das Mädchen entspannte sich. »Das nächste Mal mache ich es besser, das verspreche ich.«
    Ellin nickte. »Lass uns jetzt schlafen, ich bin müde.«
    »Ja, lass uns schlafen.« Das Mädchen legte sich zurück und kniff die Augen zu.
    Trotz ihrer Müdigkeit lag Ellin hellwach. Während sie den Dolchgriff umklammert hielt, schlugen ihre Gedanken Purzelbäume. Sie musste das Mädchen töten. Sie war eine Tulpa, unberechenbar und gefährlich. Doch sie hatte sie vor Lord Wolfhard gerettet und vor der Kreatur und nicht zuletzt war sie ein Teil von ihr. Wenn sie das Mädchen tötete, würde sie einen Teil von sich selbst töten.
    Die ganze Nacht hielt sie den Dolch umklammert, schwankend zwischen Mitleid und Entschlossenheit. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Als

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