Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
Vom Netzwerk:
Haut in Fetzen peitschen, bevor ich ihn von den Klippen baumeln lasse, bis ihm die Greifvögel das Fleisch von den Knochen picken.«
    Affra warf Mathýs einen besorgten Blick zu. Wer war der seltsame Fremde, in dessen Begleitung Ellin sich angeblich befand? Und wieso sollte sie Rechte auf das Land ihrer Mutter haben? Soweit sie wusste, war das Gerstfeldtal nur Pachtland, höchstenfalls ein Lehnsgut. Ein Lehen würde zwar Ellins erblichen Anspruch erklären, doch da Lord Wolfhard sie lebenslang in seine Dienste genommen hatte, war dieser Anspruch erloschen.
    »Au! Pass doch auf, du elender Tölpel«, schimpfte Lord Wolfhard und hieb nach Mathýs, der seine Füße angehoben hatte, um ihm ein Kissen unterzulegen. »Tu endlich etwas gegen diese verfluchten Schmerzen.«
    »Sofort, mein Herr.« Mathýs sprang auf, ergriff den Becher mit Kräutersud und träufelte schmerzlindernde Tropfen hinein.
    Affra trat auf Lord Wolfhard zu und verneigte sich. »Soll ich eine Magd mit dem Mittagsmahl heraufschicken, Herr?«
    Wieder stöhnte Wolfhard, Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. »Ich habe keinen Hunger. Bring mir vergorenen Schwarzbeersaft und schick Skavos zu mir«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Affra verneigte sich. »Wie ihr wünscht, mein Herr.«
    Erleichtert eilte sie in die Küche zurück. Während sie vergorenen Schwarzbeersaft in einen Krug füllte, dachte sie an Ellin und wie froh sie war, dass das Mädchen wohlauf zu sein schien. Gleichzeitig sorgte sie sich um sie. Lord Wolfhard schien fest entschlossen, sie im Zweifelsfall höchstpersönlich zurückzuholen. Nur die Götter wussten, was mit ihr geschehen würde, sollte er sie je in die Finger bekommen.
    Da sie sich glücklich schätzen konnte, Lord Wolfhard so glimpflich entkommen zu sein, und ihr Glück nicht überstrapazieren wollte, schickte sie eine Magd in die Gemächer hinauf, um ihm das Gewünschte zu bringen. Sie selbst widmete sich den Vorbereitungen für das Nachtmahl. Zum ersten Mal war sie fahrig und unkonzentriert und so geschah es, dass die Gerstfladen verkohlte Ränder hatten, während das Fleisch nur halb durchgegart war. Zudem schnitt sie sich beim Kräuterhacken in den Finger und ließ einen Krug mit teurem Würzwein fallen. Wäre sie einer der Küchenjungen oder Mägde, wäre sie wegen dieser Unachtsamkeit gezüchtigt worden. Die Küchenmeisterin hingegen wagte niemand zu tadeln. Doch die verstohlenen Blicke, die die Untergebenen einander zuwarfen, bemerkte sie wohl, zog es aber vor, sie zu ignorieren. Seit das Küchengesinde für sie gelogen hatte, stand sie in ihrer Schuld.
    Immer wieder fragte sie sich, welche Rechte Ellin wohl auf das Lehen ihrer Mutter haben mochte. Handelte es sich vielleicht gar nicht um Pachtland? Von Ellins Mume Tilda wusste sie, dass die Abgaben, die Ellins Eltern entrichtet hatten, nur dem Steuerwert entsprachen, den auch die Herren eines freien Grundbesitzes zu entrichten hatten. Tilda hatte ihren Bruder immer um dieses Sonderrecht beneidet. Der neue Pächter hingegen musste mehr als die Hälfte seiner Erträge und Einkünfte an Lord Wolfhard abtreten. Bei einem ertragreichen Land dieser Größe war das ein beträchtlicher Zugewinn, der schon einige von Lord Wolfhards Feldzügen und Jagdgesellschaften finanziert und die Vorratsspeicher mit Gerstknollen gefüllt hatte.
    Plötzlich war sie sich gar nicht mehr so sicher, dass der Überfall auf Ellins Familie wirklich nur die Tat einer marodierenden Räuberbande gewesen war. Der Gedanke versetzte ihr einen solchen Schreck, dass sie sich am Tisch festhalten musste, weil sie schwankte. Sie biss sich auf die Lippen und blickte auf ihre Hände hinab. Sie zitterten. Tief atmete sie ein und aus, bis sich der Schwindel gelegt hatte.
    Sie musste sich zusammenreißen. Niemand durfte von ihrem Verdacht erfahren, nicht einmal Mathýs, denn wenn es sich als wahr herausstellte, befand sich nicht nur Ellin in großer Gefahr, sondern jeder, der davon Kenntnis hatte.

10
    D ie Nacht war heiß und schwül und auch der Morgen brachte keine Abkühlung, nur feuchten Dunst, der über den Boden zog und die Landschaft in einen fleckigen See aus weißen Schwaden verwandelte. Wie ein Rettungsboot schwebte der Wagen inmitten des dunstigen Brodems, der von den Braunen Seen zu ihnen herüberwehte. Ellins Haare waren schweißnass und klebten an ihrer Stirn. Die Felle hatte sie längst von sich geworfen. Da sie allein mit Geldis im Wagen schlief, musste sie keine Angst

Weitere Kostenlose Bücher