Ellin
vor der unzüchtigen Zurschaustellung ihres Körpers haben, doch zum ersten Mal verstand sie, warum die Uthra es vorzogen, im Freien zu schlafen. Jesh hatte ihr erzählt, dass sie dies nicht aus praktischen Gründen taten, sondern weil sie sich im Wagen eingeengt fühlten. Uthra, so erklärte er, bräuchten frische Luft und den Himmel über ihren Köpfen.
Als Nuelia sie in den frühen Morgenstunden weckte, hatte Ellin das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Müde wusch sie sich, während Geldis ihr beim Entwirren ihrer Locken half.
»Wie können wir bei diesem Nebel sehen, wohin wir fahren?«, fragte Ellin, als sie aus dem Wagen stieg und in den feuchten Schleier trat. »Ich kann ja kaum die Hand vor Augen sehen.«
»Der Nebel wird sich bald lichten. Bis wir zu den gefährlichen Tiefen gelangen, haben wir hoffentlich bessere Sicht«, erklang Butans Stimme irgendwo inmitten des weißen Waberns.
Ellin dachte daran, dass Kylian bewiesen hatte, dass die Uthra auch unter ungünstigen Sichtverhältnissen sehen konnten. Zumindest besser als ein Mensch. Wer die Finsternis der sternenlosen Nacht zu durchdringen vermochte, dem machte ein wenig Nebel sicher nicht allzu viel aus.
Je tiefer sie in das unwirtliche Gebiet vordrangen, umso schwerer und feuchter wurde die Luft, begleitet von einem fauligen Brodem, der Ellin Übelkeit verursachte und sich wie eine zähe Wolke auf ihre Atemwege legte. Weit und breit gab es nichts, außer dürren Sträuchern und verkrüppelten Bäumen, deren kahle Äste sich wie Krallen nach ihnen reckten, sowie die stinkenden, braunen Pfuhle um sie herum. Die Sümpfe waren, bis auf ein gelegentliches Glucksen und Plätschern, vollkommen still. Je länger sie durch diese unnatürliche Stille fuhren, umso unwirklicher wurde Ellin zumute. Ihr kam es vor, als würde das Land selbst alle Geräusche verschlucken und sie direkt in das Herz der Finsternis fahren.
Tief gruben sich die Räder in den Boden und rüttelten den Wagen kräftig durch. Immer wieder ließ Kylian sie anhalten. Nicht selten befanden sie sich in beträchtlicher Schräglage und gefährlich nahe an einem der blubbernden Gewässer. Je weiter sie in das Sumpfgebiet vordrangen, umso schmaler und unwegsamer wurden die Pfade. Für die Flüchtigen war dies der perfekte Ort, sich zu verstecken und gäbe es Geldis’ Visionen nicht, wäre dies wohl der letzte Ort, an dem die Uthra gesucht hätten. Nach endlosen Stunden, in denen sie mehr als einmal um Haaresbreite einem Sturz in die Tümpel entgangen waren, befahl Kylian zu rasten.
»Hier werden wir die Nacht verbringen und morgen früh ohne Wagen weiterreisen«, entschied er.
»Ihr wollt ihn einfach so zurücklassen?«, fragte Ellin erstaunt.
»Wir holen ihn wieder, sobald unser Auftrag erfüllt ist.«
Ellin schaffte es einfach nicht, den Mund zu halten. »Aber Ihr könnt ihn doch nicht einfach so inmitten der Sümpfe stehenlassen.«
Kylian zog eine Augenbraue hoch und grinste, was seinem Gesicht einen spöttischen Ausdruck verlieh. »Wieso? Glaubt Ihr etwa, er wird gestohlen?«
Die anderen lachten, und Ellin kam sich plötzlich töricht vor. Mit glühenden Wangen kreuzte sie die Arme vor der Brust und wandte sich ab.
Butan und Kylian verließen das Lager, um den Weg für den nächsten Morgen auszukundschaften. Nuelia machte sich daran, brennbares Material zu suchen und Jesh spannte die Zuggäule ab und nahm dann neben Ellin Platz, die auf dem Kutschbock saß und schmollte. »Nehmt es nicht persönlich, Ellin. Kylian und Butan sind nicht besonders mitfühlend und bisweilen auch ein wenig grob.«
Ellin zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, es war töricht von mir. Wer sollte uns hier schon den Wagen stehlen? Doch was ist mit den Zugtieren?«
»Geldis bleibt zurück und kümmert sich um sie«, er zögerte. »Würdet Ihr mir helfen, das Nachtmahl zuzubereiten?«
Gemeinsam krochen sie in das Wageninnere und trugen das Kochgeschirr sowie Möhren, Trockenfleisch und Gerstfladen nach draußen. Geldis, die unter der drückenden Schwüle litt, saß gegen ein Wagenrad gelehnt auf dem moosigen Boden und wühlte in ihrem Beutel. Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und klebten an der feuchten Stirn. Sie atmete schwer.
Ellin ging neben ihr in die Knie. »Geht es Euch gut? Trinkt Ihr genug?«
Geldis versuchte sich an einem Lächeln. »Es geht schon, mein Kind. Mein alter Leib verlangt nur nach ein wenig Ruhe.«
Ellin betrachtete sie besorgt. Geldis wedelte mit der Hand, als würde
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