Ellin
groß, in einem kurzen Marsch konnte man es zu Fuß durchqueren, und es sah aus, als wäre es nicht von alleine entstanden, sondern durch Magie oder göttliche Kraft erschaffen worden. Im Gegensatz zu den Sümpfen war es mit mannshohen, ineinander gekrümmten Bäumen bewachsen, die unzählige weiße Blüten trugen. Der fremdartige Anblick inmitten der feindlichen Umgebung war faszinierend und unheimlich zugleich.
Kylian führte die Gruppe zu einem schmalen Pfad, der sich in Schlangenlinien durch den Sumpf wand. Der weiche Boden wandelte sich langsam zu einem leicht ansteigenden, fester werdenden Untergrund, auf dem erste Schösslinge wuchsen. Fasziniert betrachtete Ellin die filigranen Blüten an den Zweigen. Sie schimmerten wie Perlmutt und schienen in der feuchten Luft zu schweben. Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen. Die Uthra schienen für ihre Schönheit kein Auge zu haben, mit gezogenen Schwertern stapften sie auf das Eiland zu.
»Gefallen Euch die Götterblüten?«, fragte Butan.
»Das sind Götterblüten? Ich habe von ihnen gehört, sie jedoch nie zuvor gesehen. Sie sind wunderschön.«
Butan brummte zustimmend. »Sie wachsen angeblich an heiligen Orten, aber eigentlich findet sie man sie fast überall.«
»Ich bin bisher nicht viel herumgekommen«, gab Ellin zu. »Wobei ich das keineswegs bedaure. Lieber sitze ich vor einem gemütlichen Feuer, als gegen todbringende Vögel zu kämpfen.«
Butan lachte leise. »Verständlich. Die meisten Menschen sind für das Nomadenleben ungeeignet. Es ist entbehrungsreich und gefahrvoll.«
Sie warf ihm über die Schulter hinweg einen kurzen Blick zu. »Die Gefahr liegt wohl eher in Euren Aufträgen.«
»Das Reisen ist nie ohne Gefahr, auch wenn man keine Söldnerdienste verrichtet.«
Kylian wandte sich zu ihnen um und bedeutete ihnen zu schweigen. Mittlerweile hatten sie den Rand der Insel erreicht. Vor ihnen entfaltete sich ein undurchdringliches Dickicht aus Blüten und Blättern und einem Gewirr ineinander verschlungener Äste. Lautlos glitten sie von den Pferden und banden sie an einen der kräftigeren Bäume.
Kylian winkte sie voran. »Butan, du bleibst mit Geldis zurück und bewachst die Pferde. Wir nehmen Ellin in unsere Mitte und suchen die Insel ab. Ich bin mir sicher, dass sie uns entweder gesehen oder zumindest gehört haben, seid also vorsichtig. Wer sie sichtet, stößt einen Warnruf aus.«
Angst überfiel Ellin, als Kylian, Jesh und Nuelia sie in ihre Mitte nahmen und begannen, sich durch das Blütenmeer zu arbeiten. So wunderschön der Anblick war, so ungünstig war er für den Auftrag, boten die Bäume doch unzählige Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ellin tastete nach ihrem Messer und zog es hervor. Schwer und beruhigend lag der Griff in ihrer Hand. Die Wunde an ihrer Wade pochte. Tapfer humpelte sie über den weichen Boden und starrte in die Schatten zwischen den Bäumen. Die Anspannung der anderen war fast körperlich spürbar. Die Blätter raschelten und die Blüten verströmten einen zarten Duft. Sie duckte sich unter Ästen hindurch, umrundete miteinander verflochtene Bäume und kletterte über ein ganzes Heer von Schösslingen.
Auf dem höchsten Punkt der Insel, in einer kreisrunden Lichtung, hielten sie inne. Noch immer hatten sie keine Spur der Gesuchten entdeckt.
»Wo zum Henker sind sie?«, fluchte Kylian.
»Vielleicht hat Geldis sich geirrt«, erwiderte Nuelia.
»Geldis irrt nie.«
Nuelia drehte sich im Kreis und spähte zwischen die Bäume. »Dann haben sie die Insel vielleicht schon wieder verlassen.«
Kylian steckte das Schwert weg und brummte etwas Unverständliches. Ein kahler Baum, der wie ein trauriges, verkümmertes Kind zwischen den anderen stand, zog Ellins Aufmerksamkeit auf sich. Er war farblos und wirkte wie erstarrt. Seine Blüten lagen am Boden verstreut, als hätte er sie von einem Augenblick zum anderen allesamt abgeworfen. Vorsichtig hob Ellin eine auf. Sie war kalt und hart und zersplitterte in ihrer Hand. Der Anblick beunruhigte sie. Nachdenklich betrachtete sie die Blütenstücke in ihrer Hand. Was war mit dem Baum geschehen? Aus den Augenwinkeln gewahrte sie einen huschenden Schatten. Sie schreckte auf und spähte zwischen die Bäume. Die zerbröselten Blütenblätter rieselten zu Boden.
»Kylian«, wisperte sie und deutete auf die Stelle, wo sie den Schatten gesehen hatte.
Sofort zog Kylian sein Schwert und lauschte. Ellin wagte kaum, zu atmen. Ein Rascheln erklang hinter ihr. Sie fuhr herum,
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