Ellin
den Palast gerufen wurde, bin ich sowieso auf dem Weg dahin.«
Ellin atmete auf. Was für ein Glücksfall. Sie folgte der jungen Frau in eine schmale Gasse. »Wie heißt Ihr?«
»Mein Name ist Yasu.«
Als Ellin sich vorstellte, verneigte die Sklavin sich höflich und beständig lächelnd.
»Arbeitet Ihr im Palast?«, fuhr Ellin fort.
»Ich gehöre der Herrscherin und arbeite, wo auch immer sie mir befiehlt.«
Betreten sah Ellin zur Seite. Was sollte sie darauf erwidern? Über was unterhielt man sich mit einer Sklavin? Bevor sie den Gedanken vertiefen konnte, spuckte ihr jemand vor die Füße. Überrascht sah sie auf. Die Menschen am Straßenrand warfen ihnen verächtliche Blicke zu. Kinder deuteten auf sie, riefen Schimpfwörter und rannten weg, sobald Ellin sich nach ihnen umdrehte. Verwundert über dieses Verhalten, blickte sie wieder Yasu an, um zu sehen, was die Sklavin davon hielt. Doch Yasu schritt still und würdevoll voran, als würde sie nicht bemerken, was um sie herum geschah. Ellin musterte sie verstohlen. Für eine Sklavin war sie auffällig gut gekleidet, aber auch ungewöhnlich freizügig. Ihr besticktes Kleid war durchscheinend und offenbarte mehr als es verbarg. Der dunkle Schatten ihrer Brustwarzen schimmerte durch den Stoff. War das der Grund für das Verhalten der anderen?
»Welche Arbeit verrichtet Ihr im Palast?«, fragte Ellin.
Yasu reckte das Kinn. »Ich leiste den Gästen der Herrscherin Gesellschaft, sorge mit Gesang und Tanz dafür, dass sie sich wohlfühlen und ihnen nicht langweilig wird.«
»Oh. Dann seid Ihr so etwas wie eine Gauklerin?«
Yasu lächelte geheimnisvoll. »Ich werde gerufen, um einem Gast zu dienen, nicht vielen.«
Ellin runzelte die Stirn. »Welch eine Verschwendung. Bei uns treten die Gaukler immer vor ein möglichst großes Publikum. Warum will die Herrscherin bloß, dass Ihr nur einen Gast mit Euren Gaben erfreut?«
Yasu fuhr mit den Fingern über das Band um ihren Hals. »Singen und Tanzen ist nicht das Einzige, was ich tue.«
Ellin wartete, ob Yasu weitersprechen würde, doch das tat sie nicht. »Was macht ihr denn noch?«, fragte sie schließlich.
Betreten senkte die Sklavin ihren Blick. Und plötzlich verstand Ellin. Sie war so etwas wie eine Prasifrau. Schamröte schoss in ihre Wangen. »Vergebt mir, Yasu. Ich habe Euch in Verlegenheit gebracht, das war ungehörig von mir.«
Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her.
»Ist es nicht schrecklich, sich wildfremden Männern hingeben zu müssen?« Nie zuvor hatte Ellin mit einer Prasifrau gesprochen. Sie wollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
»Man merkt, dass Ihr keine Bürgerin Huanacos seid«, antwortete Yasu.
»Woran merkt Ihr das?«
»Ihr sprecht unverblümt und Ihr verachtet mich nicht.«
»Warum sollte ich Euch verachten? Ihr habt doch keine andere Wahl, oder?«
»Nicht, seit meine Eltern bei einem Überfall getötet wurden.«
»Wo seid Ihr denn geboren?«
Yasus Blick verlor sich in der grünen Weite der huanacischen Berge. Ein sehnsüchtiger Ausdruck trat in ihre Augen. »Auf einer Insel vor der Küste Kismahelias. Der Herrscher, Fortas al Surani, hat mich seiner Schwester zum Geschenk gemacht.«
Betreten blickte Ellin zu Boden. »Das ist schrecklich.« So weit entfernt von Yasus Schicksal war das ihre nicht. Wäre sie nicht den Uthra, sondern Sklavenhändlern oder feindlichen Soldaten in die Hände gefallen, hätte sie genauso enden können.
»Ich beklage mich nicht«, sagte Yasu mit fester Stimme. »Für eine Sklavin ist es mir noch gut ergangen. Die Arbeit bringt mir viele Vorteile. Da niemand, nicht einmal die anderen Sklaven, mit den Gesellschafterinnen leben wollen, ist es mir vergönnt, in einem Haus außerhalb des Palasts zu wohnen. Die Gäste, die ich unterhalte, beschenken mich und sind zumeist höflich und sauber. Worüber sollte ich also klagen?«
Es fiel Ellin schwer, Yasus Worte Glauben zu schenken. »Macht es Euch denn gar nichts aus, zu einem Mann zu gehen und zu wissen, was er von Euch verlangt?«
Yasu seufzte. »Ich denke nicht darüber nach. Heute kann ich sagen, macht es mir nichts aus. Der Gast, dem ich später Gesellschaft leisten muss, ist von angenehmen Äußeren und beschenkt mich großzügig. Aber bitte verratet das niemandem, denn eigentlich muss ich der Herrscherin alles zeigen, was ich von ihren Gästen bekomme.«
Ellin versuchte vergeblich, sich ein solches Leben vorzustellen. In den Palast zu gehen, wohl wissend, dass dort ein
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