Ellin
betrübt? Ist was passiert?«
»Nein«, versicherte Ellin. »Ich habe einfach nur Hunger. Mein Magen knurrt so laut, dass ich schon befürchtete, er könnte die grölende Menge übertönen.«
Zur Bestätigung biss sie in den Spieß, auf dem sich scharf gewürzte Fleischstücke mit Brot und geröstetem Gemüse abwechselten. Bevor Nuelia etwas erwidern konnte, ertönte ein tiefer, vibrierender Gong. Ellin sah auf und blickte in die Arena hinab. Aus einer Öffnung im Boden wurden zwei gefesselte, nur mit einem Lendenschurz bekleidete Männer hereingeschleift. Sie waren derart geschunden, dass sie kaum in der Lage waren, aus eigener Kraft zu gehen. Aus der Entfernung konnte sie es nicht genau erkennen, aber sie glaubte zu sehen, dass einem der Männer ein Auge fehlte. Die Menge brach in Jubel aus.
»Was haben die beiden verbrochen?«, fragte sie.
»Sie haben ihren Dienstherrn bestohlen, zudem hat einer der beiden dessen Tochter beigelegen«, erklärte Nuelia.
»Was haben sie denn gestohlen?«
»Schmuck, wertvolle Gewänder und die Familienehre. Die Wachen haben sie erwischt, als sie die Stadt verlassen wollten.«
Die Männer wurden in die Knie gezwungen. Ein schwarz gewandeter, spindeldürrer Mann mit schneeweißem Haar trat hinzu, hob seine Arme und sprach etwas.
»Das ist der Seelenhüter«, erklärte Nuelia. »Er fordert sie auf, sich reumütig zu zeigen, und die Götter um Vergebung zu bitten.«
Die Männer warfen sich auf den Boden und murmelten etwas. Der Sand vermischte sich mit ihrem Blut und klebte an ihren Wunden.
»Sie bereuen nun öffentlich ihre Tat«, fuhr Nuelia fort.
Aus der ersten Reihe erhob sich ein beleibter Mann. Er hielt eine junge Frau am Arm, die schluchzte und sich nach Kräften gegen seinen Griff wehrte. Der erlesenen Kleidung und der Familienähnlichkeit nach zu urteilen, handelte es sich um Vater und Tochter. Ellin beugte sich vor und betrachtete sie interessiert. Die junge Frau war in ihrem Alter, vielleicht auch etwas jünger. Unbarmherzig zerrte ihr Vater sie zu einer flachen, in der Mitte offenen Holzkonstruktion und zwang ihre Hände an das herabhängende Seil. Sie jammerte und wand sich in seinem Griff.
»Was tut ihr Vater da?«, fragte Ellin.
»Er zwingt sie dazu, die Hinrichtung vorzunehmen«, erklärte Nuelia.
Ellin hob überrascht die Augenbrauen. »Warum?«
»Weil sie ihre Jungfräulichkeit einem Unwürdigen geopfert und ihm verraten hat, wo der Familienschmuck aufbewahrt wird.«
»Woher weißt du das alles?«
Nuelia hob die Augenbrauen. »Wie könnte ich es nicht wissen? Im Palast spricht man von nichts anderem. Du musst immer die Ohren offen halten, Ellin, sonst entgeht dir nicht nur der Palastklatsch, sondern auch wichtige Informationen.«
Die zum Tode Verurteilten wurden zu der Vorrichtung gezerrt. Es gab einen kleinen Tumult, als sich einer der Diebe losriss und seine Hände der jungen Frau entgegenstreckte, die sofort das Seil losließ und sie ergriff. Aufschluchzend drückte er seine blutigen Lippen auf ihren Handrücken.
Sie lieben einander , dachte Ellin überrascht.
Mehrere Wachen lösten die Liebenden voneinander, zwangen den Kopf des sich heftig wehrenden Mannes in die Öffnung der Konstruktion und drückten ihn in eine flache Mulde. Er zappelte und schlug um sich, doch die Wachen waren in der Überzahl. Ellin kniff die Augen zusammen und reckte den Kopf, um besser sehen zu können.
Während der Hals des Mannes mit einem Lederriemen festgeschnallt wurde, zerrte der Vater die Hände seiner Tochter an das Seil zurück. Sie weinte so laut, dass ihr Schluchzen das aufgeregte Summen der Menge übertönte. Der Todgeweihte sagte etwas, woraufhin die junge Frau noch lauter schluchzte. Niemand beachtete ihre Tränen, im Gegenteil, je verzweifelter sie sich gebärdete, umso aufgeregter wurde das Publikum. Der Seelenhüter trat hinzu, hob die Arme gen Himmel und ließ seinen strengen Blick über die Arena schweifen. Die Menge verstummte. Als es still genug war, schloss er die Augen und begann, ein Gebet zu sprechen. Die Menschen senkten die Köpfe und taten, als würden sie ebenfalls beten, in Wahrheit gierten sie nach der Hinrichtung. Als der Seelenhüter fertig war, nickte er dem Vater zu, woraufhin dieser seine Hände auf die seiner Tochter legte und sie nach unten zog. Das Seil löste die Klinge, die am oberen Rand der Konstruktion hervorragte. Sie sauste nach unten. Der abgetrennte Kopf des Diebes rollte über den Boden. Blut floss auf den Sand und bildete
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