Ellorans Traum
erklangen aufgebrachte Stimmen.
Meine Mutter und Nikal standen sich gegenüber und funkelten sich wütend an. Malima war nirgends zu sehen, Ellemir mußte sie nach nebenan geschickt haben. Die Auseinandersetzung wurde in einem gedämpften Ton geführt, wenn auch erstaunlich heftig. Mich überraschte die außerordentliche Kühnheit, die Nikal besitzen mußte, in einem derart groben Ton mit der Gemahlin seines Dienstherrn zu sprechen. Bemüht, den einen oder anderen Satzfetzen aufzuschnappen, spitzte ich die Ohren.
»Ist dir eigentlich klar, was du dem Kind da antust? Warum sagst du ihm nicht endlich die Wahrheit?« Dieser Satz war deutlich zu verstehen, weil Nikal ihn aus voller Brust mit seiner trainierten Kommandostimme brüllte.
Ellemirs Erwiderung darauf ertönte auch nicht viel leiser: »Würdest du freundlicherweise deine Stimme dämpfen? Es muß ja nicht die ganze Burg mithören!«
Nikal gehorchte zähneknirschend, und dann konnte ich nur noch einige Brocken von ihrem heftigen Streit auffangen.
» ... wird ständig von den Jungen gehänselt ...«, hörte ich Nikal sagen. Seine Stimme klang heiser vor unterdrücktem Grimm. Einige Minuten lang hörte ich nur ein aufgebrachtes Zischeln und Murmeln, bis Nikal erneut die Beherrschung verlor.
»Was wird erst sein, wenn er einmal erwachsen ist?« herrschte er meine Mutter an.
Ellemir fauchte wie eine gereizte Katze. »Elloran wird Herr auf Salvok sein, wie sein Vater!«
» ... jemals ein gewöhnliches Leben führen?« Nikals wieder gedämpfte Stimme verklang zu einem aufgebrachten Murmeln, ehe er wieder heftiger wurde: » ... ahnt doch nicht einmal, was mit ihm los ist ...«
Ellemirs Erwiderung war zu leise, als daß ich sie hätte verstehen können. Ich zitterte inzwischen am ganzen Leib vor Aufregung. Was für ein Geheimnis verbargen die beiden vor mir? Wußte denn außer mir jedermann in der Burg darüber Bescheid?
Nikals aufgebrachte Stimme riß mich aus meinen fiebrigen Überlegungen: » ... vertraust einem Zauberer? Gerade du?« Er fluchte unbeherrscht, und Ellemir schluchzte.
Die Stimmen drinnen verklangen und machten einer gespannten Stille Platz. Ich linste vorsichtig durch den Türspalt.
Der Anblick, der sich mir bot, durchfuhr mich wie ein scharfes Messer, und beinahe hätte ich mich durch einen Ausruf verraten: Meine Mutter und Nikal standen mitten im Zimmer, eng umschlungen, und küßten sich voller Leidenschaft. Mir wurde heiß und kalt, und ich hatte nur noch einen Gedanken: nichts wie raus, weg von diesem Anblick!
In meiner Kammer warf ich mich heftig weinend auf mein Bett. Ich dachte, mein Herz müßte zerspringen, so sehr fühlte ich mich verraten und verlassen von jenen Menschen, die ich liebte und denen ich immer blind vertraut hatte.
2
V on diesem Tag an ging ich Nikal aus dem Weg. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihm in die Augen zu sehen, ohne ihm meine Wut über seine Verlogenheit und seinen Verrat ins Gesicht zu schreien. Also mied ich lieber seine Gesellschaft, eine leichte Übung, da er ohnehin kaum noch dazu kam, mich zu unterrichten.
Ich vergrub mich in meine Studien bei Julian, der sich über meinen plötzlichen Eifer zu freuen schien, wenn er ihm auch sichtlich etwas unheimlich war. Ein oder zwei Male versuchte er behutsam, aus mir herauszuholen, was mich bedrückte. Als er aber merkte, wie sehr es mir widerstrebte, darüber zu sprechen, ließ er davon ab und beschränkte unsere Unterhaltungen auf allgemeinere Themen. Ich war ihm für seine Feinfühligkeit dankbar, obwohl ein mitleidiges Ohr mir sicher gutgetan hätte. Außerdem war Julian jetzt seltener auf Burg Salvok – und irgendwo im Land unterwegs. Er sprach nicht über seine Reisen, aber er erlaubte mir, auch während seiner Abwesenheit sein Turmzimmer und seine Bücher zu benutzen.
Wenn ich nicht in Julians Turm hockte, war ich bei Jemaina. Die kleine, stämmige Heilerin war mir eine echte Freundin geworden. Sie schien völlig alterslos, aber ich wußte, daß sie nicht mehr jung sein konnte, sie lebte schon jahrelang auf Salvok. Dieser Umstand hatte aber wenig Einfluß auf ihren weichen olyssischen Akzent gehabt.
Jemaina nahm es wortlos hin, daß ich ihr in ihrem Kräutergarten zur Hand ging oder zusah, wenn sie ihre Arzneien bereitete. Ihre lackschwarzen Augen blickten mich zwar hin und wieder fragend an, aber sie beließ es bei diesen Blicken. Sie sprach überhaupt nicht viel. Auch ihr dunkelhäutiges, von dicken schwarzen Zöpfen gerahmtes Gesicht zeigte
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