Ellorans Traum
die dort im Staub hockte und mit Steinchen nach den Tauben warf. Sie sah mich und sprang auf die Füße.
»War es schlimm? Hat er dich verprügelt?« Behende trabte sie auf ihren bloßen, schmutzigen Füßen neben mir her. Ich schüttelte ein wenig verlegen den Kopf. Es war mir nicht sehr angenehm, mit ihr zusammen gesehen zu werden, denn das wäre ein Anlaß mehr für die anderen Jungen, mich zu verspotten. Vor allem meinem Hauptquälgeist, dem dicken Bernak, wäre es sicher ein Fest, mich mit einem Mädchen im Hof zu erwischen.
Jenka blieb stur wie ein Esel an meiner Seite, ohne sich von meiner Maulfaulheit abschrecken zu lassen. »Erzähl schon. Was hat er gesagt?«
Ich stöhnte und blieb stehen. Wenn ich sie loswerden wollte, würde ich wohl ihre Neugier befriedigen müssen. »Ich muß den Schuppen streichen.«
Sie überraschte mich damit, daß sie aufstrahlte, was ihr sonst so mürrisches Gesicht völlig verwandelte. Sie klatschte in die Hände, daß es nur so über den Hof schallte. »O bitte, laß uns Torkal sagen, daß der Kommandant uns beide dazu verdonnert hat, jo?«
Ich starrte sie mit offenem Mund an. Sie knurrte ungeduldig und zerrte mich am Ellbogen weiter. »Komm schon, warum sollst du den ganzen Spaß alleine haben?« Ich lachte und ließ mich mitziehen. Torkal rümpfte zwar ein wenig die Nase, als er Jenka sah, stapfte aber wortlos hinüber zum Schuppen und drückte uns beiden Pinsel und einen Topf Farbe in die Hände.
Wir arbeiteten eine Weile schweigend. Ich bemerkte, daß Jenka mich immer wieder verstohlen von der Seite ansah.
»Darf ich dich was fragen?« hörte ich sie endlich sagen. »Du gehst nie mit den anderen Burgjungs ins Dorf runter, oder? Ich hab dich da jedenfalls noch nie gesehen.«
Ich zuckte die Achseln, und ein dicker Klecks Farbe fiel von meinem Pinsel auf meinen Kittel. Hartnäckig fuhr sie fort: »Die anderen kannte ich alle schon, bevor ich hier zu meiner Tante auf die Burg gekommen bin. Eine gräßliche Bande, alle miteinander.« Ich blickte sie an und mußte lachen. Irgendwie hatte Jenka es geschafft, ihre spitze Nase mit einem ordentlichen Streifen Weiß zu verzieren. Sie grinste und wischte sich übers Gesicht, was die ganze Bescherung nur noch schlimmer machte.
»Du scheinst ja soweit ganz in Ordnung zu sein«, meinte sie. »Trotzdem, warum ziehst du nie mit den Burschen herum? Ist es, weil du ...«
Sie verstummte und malte verbissen an einer Ecke des Schuppens herum, die ich gerade erst geweißt hatte. Sie merkte, daß ich die Arbeit unterbrochen hatte und sie ansah. Mit so viel Nachdruck, daß es spritzte, beförderte sie ihren Pinsel in den Farbtopf und wischte die Hände an ihrem geflickten Rock ab.
»Was wolltest du mich fragen?« hakte ich nach.
Sie zog die Nase hoch und sah wieder finster drein. »Näh, ist schon gut.«
Ich ließ nicht locker, obwohl ich zu wissen glaubte, welche Frage sie vorhin so schnell verschluckt hatte.
»Also gut«, gab sie schließlich nach, »aber du mußt mir versprechen, daß du nicht sauer wirst. Es wird erzählt, daß du JuCan bist.« Ich sah sie fragend an. Dieses Wort hatte ich noch nie gehört. »JuCan. Frau-Mann in der Sprache von Olyss.« Sie schielte vorsichtig zu mir herüber, unsicher, ob ich mein Versprechen noch hielte. Als ich mich nicht rührte, fuhr sie fort: »Meine Mutter sagt, daß JuCan Glück für ihren ganzen Clan bedeuten. In Olyss wird eine JuCan-Geburt vom Dorf eine Woche lang gefeiert.« Sie sah mich erwartungsvoll an.
Ich dachte nach. Wie sollte ich ihre Frage beantworten? Nikal hatte mir gesagt, ich sei kein T'svera. Meine Mutter weigerte sich, die Frage überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Nikal hatte mich angelogen. Meine Mutter belog mich auch. Die Jungen und die Soldaten der Burg hielten mich für einen T'svera. Ich selbst wußte nur, daß mir einige anscheinend äußerst wichtige körperliche Merkmale fehlten, die einen Jungen ausmachten.
»Ja«, sagte ich endlich laut. »Ja, ich bin ein T'svera!« Erleichterung durchströmte mich. Endlich hatte ich meine bedrückende Andersartigkeit benannt und konnte damit aufhören, mich auch noch selbst zu belügen. Ich war die Enttäuschung meines Vaters, der einen Sohn und Erben gewollt hatte, ich würde niemals zu den Männern gehören, ich mußte meinen eigenen Weg durch das Leben finden: Doch es gab andere Orte auf dieser Welt, Orte, wo Menschen wie ich anerkannt und vielleicht sogar geachtet wurden. Selbst hier auf Burg Salvok gab es Menschen, die
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