Ellorans Traum
bevor sie sie äußerst behutsam im Dreieck auf eine Fläche von schwarzen Dohlenfedern legte. Es blitzte kurz und strahlend grün, und eine Wolke von Federn stob auf und füllte die Luft, so daß ich für einen Augenblick blind war. Als ich wieder sehen konnte, waren Federn und Steine verschwunden, nur Leonie hockte noch immer auf dem Teppich und sah mich gelassen an.
»Schön, daß du dich wieder einmal blicken läßt. Was sagt denn dein Großvater dazu?« Ich fluchte unbeherrscht. Sie verzog spöttisch den Mund und bemerkte nur: »Ts, ts! Wo sind deine Manieren, Elloran? Ich koche uns Tee, vielleicht kühlt dich das ein wenig ab.«
Mißmutig pustete ich wenig später über meinen heißen Tee und fragte mich, wo meine gute Laune vom Morgen geblieben sein mochte. Leonie ließ mich eine Tasse lang brüten, sah mich nur unablässig an.
»Komm schon, raus damit«, sagte sie, als sie mir die zweite Portion einschenkte.
»W-womit?« knurrte ich ungnädig.
»Elloran!« Ihre Stimme klang ungeduldig. »Spiel keine Spielchen mit mir, ich bin darin besser als du!«
»Ach, Verdammnis. Ich h-habe mich mit Karas gestritten w-wegen – du weißt schon.«
»Und jetzt hast du ein schlechtes Gewissen.«
»Er sollte ein schlechtes G-Gewissen haben, nicht ich!«
Sie nickte nachdenklich. »Ich habe damals die Beherrschung verloren, weil ich mich über deinen dickköpfigen Großvater geärgert hatte, Elloran. Ich hätte es dir nicht einfach so sagen dürfen.«
Wie immer fühlte ich mich halb gebannt von ihrem alles durchdringenden Blick. Sie lächelte schwach. »Ich habe Karas und deine Großmutter aufwachsen sehen, mein Kind. Die beiden gehören zu den Menschen, die mir am nächsten stehen. Aber sie mißtrauen mir, und das zu Recht. Meine Treue gehört zwar der Krone, der ich seit einigen Menschenaltern diene. Aber dennoch ist meine Loyalität nicht ungeteilt; ich bin immer auch meinem eigenen Volk verantwortlich. Das können Karas und Veelora nicht vergessen, und sie verübeln es mir.«
Ich holte tief Luft. Manchmal vergaß ich in der Gegenwart der Obersten Maga sogar das Atmen. »D-dein eigenes Volk?« fragte ich. Sie nickte und schob die Haare aus ihrer Stirn. Leonies Armreif, das Insigne der linken Hand , blinkte.
»Mein Volk. Die Zauberer dieser Welt. Ich bin ihr Oberhaupt seit langer, langer Zeit und ihr Verbindungsglied zu den gewöhnlichen Menschen. Wir gehören keiner Nation, keiner Allianz, keinem Bündnis an, Elloran. Wir kennen keine Familien, keine Bindungen, wenig Nachsicht und keine Liebe für euch Kurzlebige. Vergiß das nie, wenn du mit Magiern zu tun hast.« Ihre Stimme klang warnend, und ich ahnte, wovor – vor wem – sie mich in Wirklichkeit zu warnen versuchte.
»Aber«, setzte ich an, doch sie unterbrach mich scharf.
»Vergiß es nie, Elloran! Karas hat es nicht vergessen, und deshalb solltest du seine Meinung zumindest respektieren. Was er allerdings wissen müßte, ihm im Augenblick aber entfallen zu sein scheint, ist die Tatsache, daß ich auf seiner Seite stehe. Uns unterscheidet allein die Art und Weise, wie wir vorgehen. Ich spiele das spiel nach etwas anderen Regeln als dein Großvater – aber der Ausgang, den wir ansteuern, ist im Großen und Ganzen der gleiche.« Sie lächelte wieder, und ihre Stirn glättete sich. Ich zog ein Gesicht. Was kümmerten mich irgendwelche Loyalitätskonflikte, die Krone, dieser ganze verknotete Politikkram! Wenn man mich fragte, konnte mir das alles komplett gestohlen bleiben.
»Was habe ich damit z-zu tun?« fragte ich bockig.
Leonie stieß einen heftigen Seufzer aus und begann zu lachen. Ich wurde flammend rot. Was hatte ich nur an mir, daß ich mich ständig auslachen lassen mußte?
»Kind, Kind, du bist wirklich unbezahlbar.« Die Magierin trocknete sich die Augen und setzte nüchtern hinzu: »Werde endlich erwachsen, Elloran. Du kannst nicht dein Leben lang mit geschlossenen Augen durch die Welt rennen und dich darüber beschweren, daß du dir dabei blaue Flecken holst. Wir können dich nur beschützen, wenn du deinen Teil dazu beiträgst. So, und jetzt geh, versöhne dich mit deinem Großvater und verrate ihm bitte nicht, daß ich dir dazu geraten habe!«
Die Tür öffnete sich. Ich ging zähneknirschend hinaus. Was bildete sie sich ein, daß sie mich derart herunterputzen und herumkommandieren zu dürfen glaubte? Blind vor Wut, mit der ich nicht wußte wohin, stampfte ich aus dem Palas und steuerte meine Zuflucht an. Unter der Birke, die ich
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