Ellorans Traum
Karas und der Erzieher Cescos waren anscheinend schon vorausgegangen. Leonie stand wie eine stumme Mahnung an Veeloras Seite. Cesco schob seinen Arm unter meinen und schritt hoheitsvoll an den beiden Frauen vorbei. In seinen Augen blitzte es mutwillig, und mir wurde klar, daß ich gerade dabei war, mich schrecklich zu verlieben. Verzeih mir, Tom , flüsterte ich lautlos. Verzeih mir.
15
I n der folgenden Zeit war ich sehr unaufmerksam bei meiner Arbeit. Ich bemerkte zwar Karas' sorgenvolle Miene, doch sie kümmerte mich nicht. Ich tat, was mir aufgetragen wurde, aber ich war nicht mit dem Herzen dabei. Den Prinzen der Inseln, bei dem meine Gedanken jetzt oft weilten, hatte ich nach dem Krontag nur noch bei einer ähnlich offiziellen Gelegenheit zu Gesicht bekommen. Er wurde gerade bei den Edlen der Krone herumgereicht, der Ärmste. Wenn ich meine Augen schloß, sah ich sein ovales Gesicht mit den riesigen violetten Augen und dem übermütigen Lächeln vor mir und fühlte mich ganz windelweich und weh.
So oft es mir möglich war, traf ich Jenka und ließ mich von ihr über den Waffenhof scheuchen. Wir hatten sehr schnell zu unserer alten Vertrautheit zurückgefunden. Ihre Gegenwart tat meinem aufgewühlten Gemüt so wohl wie ein lindernder Umschlag einem verletzten Glied.
Veelora war kurz nach dem Krontag abgereist, um sich mit Galen zu treffen. Ich verbrachte meine Abende wieder allein mit dem Kammerherrn und bemühte mich, ihn meine Verstimmung nicht zu deutlich spüren zu lassen.
An einem dieser Abende war Karas von Anfang an unruhig. Ich merkte, daß ihn etwas bedrückte. Nach dem Essen räusperte er sich voller Unbehagen und begann: »Ich muß etwas – hm – Unangenehmes mit dir besprechen, mein Junge.« Er hielt inne und sah mich unglücklich an. Ich hielt seinem Blick mit unbewegter Miene stand, entschlossen, es ihm nicht leicht zu machen.
Er fuhr sich verlegen mit der Hand übers Gesicht und räusperte sich wieder. »Ich, das heißt, deine Großmutter und ich, wir sind zu der Auffassung gekommen, daß wir dir, nun ja, sagen wir mal, empfehlen wollen, hm, deine Besuche bei Leonie etwas einzuschränken. Oder, genauer gesagt, daß du dich in deinem eigenen Interesse dazu durchringen solltest, sie gar nicht mehr aufzusuchen.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich rührte mich nicht, betrachtete ihn nur weiter. Er blickte irritiert hoch und fragte: »Was ist? Hast du dazu nichts zu sagen, Kind?«
»Warum?« fragte ich.
»Was, ›warum‹?« Er wirkte leicht gereizt.
»W-warum soll ich sie nicht mehr sehen dürfen?«
»Das kann ich dir nicht erklären. Du müßtest in dieser Sache dem Urteil deiner Großmutter – und dem meinen – vertrauen, liebes Kind. Sei versichert, daß wir nur dein Bestes im Auge haben.«
»N-Nein«, antwortete ich. Er starrte mich mit halboffenem Mund an.
»Was hast du gesagt?« fragte er vorsichtig nach.
»›Nein‹ habe ich g-gesagt. Ich werde mich auch weiterhin mit Leonie treffen, s-soll das heißen.« Er schlug die Hände vors Gesicht und faltete sie dann vor seinem Mund. Sein Blick war nicht anders als verzweifelt zu nennen. Ich bemerkte es mit einer gewissen grausamen Freude.
»Kind, was ist los mit dir? Ich spüre doch schon seit Tagen, daß du mir wegen irgend etwas grollst. Willst du mir nicht endlich sagen, was es ist?« Er streckte mir eine Hand entgegen, die vor Erregung leicht bebte. Ich übersah sie geflissentlich und schüttelte stur den Kopf.
»W-wir waren bei einem anderen Thema, domu Karas. W-warum soll ich die Oberste Maga meiden, eine der Hände der K-Krone?«
Er wand sich in seinem Stuhl. »Ich kann es dir nicht sagen.« Seine Stimme klang nicht fest. »Bitte vertraue mir doch. Ich will nur vermeiden, daß dir Böses geschieht, Elloran.«
»V-vertrauen?« lachte ich böse auf. Er hatte Tränen in den Augen stehen. Ich haßte ihn samt seiner falschen Sentimentalität aus ganzem Herzen. »Warum sollte ich dir v-vertrauen, Großvater ?«
»Elloran«, sagte er schwach. Sein Gesicht hatte die Farbe gewechselt. »Sie hat es dir gesagt«, murmelte er geschlagen. »Dieses böse Weib ...« Er sank mit geschlossenen Augen zurück und legte eine zitternde Hand vor seinen Mund.
»S-sie ist die einzige, die mir überhaupt etwas sagt«, rief ich aufgebracht. »D-du und G-großmutter, ihr belügt und benutzt mich doch nur!« Jetzt kamen mir auch noch die Tränen, verdammt! Ich brauchte meine ganze Stärke, um meine Wut aufrechtzuerhalten.
Karas
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