Ellorans Traum
Augen auf und ächzte. »Entscheide dich schnell, Elloran. Das Unwetter ist schon im Anzug!« Sie drückte mir das weiche, blutbefleckte Tüchlein in die Hand und verschwand hinter dem Stamm der Birke.
»Elloran«, rief meine Großmutter. Anscheinend war sie von ihrem Treffen mit Botschafter Galen zurück. Ihre Stimme klang ungeduldig und erinnerte mich unangenehm an Cescos Erzieher. »Da bist du«, stellte sie fest, als ich zu ihr herauskroch. Sie musterte meine aufgekratzte Wange und sagte: »Ich muß mit dir reden. Laß uns hineingehen.« Ohne meine Zustimmung abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging ins Haus.
»Oh-oh«, flüsterte es hinter mir, aber als ich mich erschreckt umwandte, war dort nichts und niemand.
»Also«, sagte sie. Wir saßen uns in ihrem Quartier gegenüber. Ich schielte zu ihrem spiel hinüber. Narr und König wandten sich den Rücken zu, und eine vierte Figur war im Zentrum hinzugekommen. Veelora schwieg und blickte mich nicht an. Ihre Finger spielten mit ihrem Armreif. Ich ließ die Augen schweifen und fühlte mich unbehaglich. Meine Wange spannte.
Veelora richtete sich auf und sagte hart: »Ich werde das nicht dulden, Elloran!« Ich richtete meinen allerbesten erstaunten Blick auf sie, aber sie ließ sich nicht täuschen. »Sieh mich nicht so kuhäugig an, Enkel. Du bringst mich in die Lage, daß ich mich zwischen dir und Karas entscheiden soll. Täusche dich nicht, Elloran. Ich liebe und achte diesen Mann mehr als alles andere auf der Welt ...«
»Mehr als die K-Krone?« warf ich vorlaut ein. Ein vernichtender Blick traf mich.
»Bursche, treibe es nicht zu weit! Du hast mich sehr gut verstanden. Zwinge mich in deinem eigenen Interesse nicht, deutlicher werden zu müssen, mein Freundchen.« Sie stand auf und ging aufgebracht hin und her. »Dein Großvater ist ein kranker Mann. Die Jahre, die er noch vor sich hat, sind gezählt. Er hätte es schon lange verdient, daß ein Jüngerer ihn von seinen Pflichten entbindet, aber das – das war ihm nicht vergönnt.« Sie blieb vor mir stehen und blitzte mich an. »Ich dulde es nicht – hörst du? – dulde es nicht, daß jemand ihm diese kurze Zeitspanne noch vergällt! Auch du nicht, Enkel! gerade du nicht!«
Sie wandte sich heftig ab. »Du bist eine verzogene, verwöhnte Göre. Ich ertrage deine kindischen Launen nicht länger. Wenn du es nicht fertigbringst, dich ein wenig zusammenzureißen ...«
»Was d-dann?« warf ich wutentbrannt ein. »Läßt du m-mich zurückbringen ins Arbeitshaus? Oder darf dein verkrüppelter Liebhaber mich d-dann ...« Ich kam nicht weiter. Eine Ohrfeige, die meine Ohren klingeln ließ, hob mich fast aus meinem Stuhl.
»Raus!« zischte Veelora. »Geh mir aus den Augen! Ich will dich nicht ... Geh. geh!« Ich stürmte aus dem Zimmer, Tränen der Wut und Scham in den Augen. In meinen Fingern, zerknüllt, fand ich das Tüchlein, das meine Schwester mir gegeben hatte. Ich blickte es an und schrie vor Zorn. Ich schleuderte es von mir und rannte auf mein Zimmer.
Nach einem kurzen, unruhigen Schlummer, in dem ich Würfel rollen hörte und kalte, böse Stimmen, erwachte ich zerschlagen und voller Reue. Ich rollte mich aus dem Bett und strich fahrig meine Haare zurück. Dann ging ich hinaus, ohne Ziel und Zweck. Meine Schritte führten mich vor des Kammerherrn Räume. Ich zögerte einen langen, schrecklichen Augenblick. Dann spürte ich einen aufmunternden Schubs und vernahm ein gehauchtes ›Los jetzt‹, das mich meine Hand heben und die Klinke hinunterdrücken ließ.
Der vordere Raum war dunkel. Ich tastete mich zu der anderen Tür vor. Zaghaft drückte ich die Klinke nieder und trat in den schwach erleuchteten Raum. Schwere, mühsame Atemzüge waren zu hören. Schemenhaft sah ich einen fülligen Schatten im Bett liegen. Leise trat ich heran und setzte mich in den Lehnstuhl, in dem ich schon so viele bange Stunden verbracht hatte. Ich griff nach der Hand, die unruhig über die Bettdecke tastete und hielt sie fest. Ein Kopf wandte sich, und ich fühlte seinen Blick auf mir ruhen.
»Elloran?« flüsterte er.
»Ich b-bin hier – G-Großvater«, wisperte ich und spürte den Kloß in meinem Hals.
»Elloran«, wiederholte er und drückte schwach meine Hand. Ich beugte mich über ihn, und meine Tränen tropften auf sein Gesicht. Ich küßte ihn auf die schlaffen Wangen und legte meine Hand auf seinen Kopf.
»Es t-tut mir leid«, hauchte ich. »Ich b-bin – ich – ich ...« Ich konnte nicht
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