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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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mehr. Er konnte uns nicht sagen, was seinen Anfall ausgelöst hatte, und es schien ihn auch nicht sonderlich zu kümmern. Es kam mir vor, als wäre es ihm lästig und unangenehm, überhaupt darüber zu sprechen. Ich ertappte mich dabei, daß ich in seinem Gesicht und seinem Verhalten nach Anzeichen eines neuen Anfalls suchte. Ich fühlte mich oft unbehaglich in seiner Gegenwart und konnte mir nicht erklären, weshalb. Manchmal war es mir sogar, als ginge ein vollkommen Fremder an meiner Seite, der nur zufällig so aussah wie mein alter Freund Nikal. 

3
    A ls der Herbst das Laub der Albiabäume im Goldenen Hain silberweiß zu färben begann, saß ich an einem meiner Lieblingsplätze, auf dem sonnenbeschienenen Altan, einen meiner geliebten Schmöker auf dem Schoß und dachte über meine Familie nach. Mein Vater schien sich meiner Existenz nur in seltenen Ausnahmefällen zu erinnern, und ich hegte weder liebevolle noch irgendwelche anderen Gefühle für den Burgherrn, nicht einmal Groll deswegen, weil er mich so vollständig ignorierte. Die Eltern meines Vaters waren schon seit langer Zeit tot, aber er hatte einen wesentlich älteren Bruder, der uns hin und wieder besuchte.
    Über die Familie meiner Mutter wußte ich so gut wie nichts. Ellemir sprach fast nie von der Herrin von Kerel Nor, meiner Großmutter, und auch Malima erwähnte sie nur selten, dann aber immer in ehrfürchtigem Tonfall.
    Ich stellte sie mir sehr würdevoll und erhaben vor, und malte mir aus, wie sie edel und zerbrechlich mit weißem Haar und überaus prächtig gekleidet in einem prunkvollen Schloß residierte, umgeben von glanzvollem Gefolge, edlen Rittern und Hoffräulein. Sie war die Hand der Krone, was bedeutete, daß sie eines der höchsten Ämter des Reiches innehatte. Wahrscheinlich frühstückte meine Großmutter jeden Morgen mit unserer jungen Regentin, die gewiß bildschön war. Von meinem Großvater war nie die Rede. Wahrscheinlich war er tot, gefallen in einem heldenhaften Kampf um die Befreiung einer edlen Dame.
    Ich malte mir diesen Kampf in den schönsten Farben aus und schwang soeben ein mächtiges, blitzendes Schwert gegen einen Feuer und Rauch speienden Drachen, als eine kleine Schar Berittener durch das Burgtor in den Hof trabte. Sie saßen ab und versammelten sich mit ihren Pferden um den Brunnen. Etwas an den fremden Soldaten machte mich stutzig. Ich kniff die Augen gegen die Sonne zusammen, und was ich erblickte, versetzte mich derart in Aufregung, daß ich aufsprang, ohne auf das zu Boden polternde Buch zu achten.
    Ich rannte hinunter in den Hof und baute mich in sicherer Entfernung zu den Fremden auf, Maulaffen feilhaltend wie ein zurückgebliebenes Schaf. Die munter schwatzenden und sich am kühlen Brunnenwasser erquickenden Soldaten waren unzweifelhaft allesamt weiblichen Geschlechts. Nie zuvor hatte ich Frauen in Männerkleidern zu Gesicht bekommen. Mein Gesicht bei ihrem Anblick muß starke Ähnlichkeit mit dem von Dorias, dem Dorfschwachsinnigen, aufgewiesen haben, wenn er versuchte, seine Finger zu zählen.
    Hinter mir trat meine Mutter aus der Tür. Sie hatte ihr Haar offensichtlich in aller Eile gekämmt und hochgesteckt und einen Mantel umgeworfen, der Malima zu gehören schien. Ich sah meine so auf ihr Äußeres bedachte, schöne Mutter zum ersten Mal nachlässig gekleidet und frisiert, sie wirkte aufgelöst und alles andere als glücklich über den unangemeldeten Besuch.
    Meine Aufmerksamkeit wandte sich wieder den exotischen Fremden zu. Ihre Kommandantin, eine ungewöhnlich großgewachsene, knochige Frau mit kräftigen Armen und Schultern, war wie die anderen in ein einfaches Lederkoller gekleidet. Das derbe Reitleder an ihren Beinen und die festen, hohen Stiefel zeigten deutliche Spuren einer langen, staubigen Reise. Sie lachte über die Bemerkung einer ihrer Frauen, und ich hörte ihre laute Stimme über den Hof schallen: »Ich kümmere mich eben mal um unsere Unterbringung.«
    Ellemir seufzte leise und umklammerte meinen Arm, als die Frau mit weit ausgreifenden Schritten auf uns zusteuerte. Mit ihrem starken, sommersprossigen Gesicht, über dem sich ein Schopf roter, graudurchschossener Locken kringelte, machte sie einen überaus achtunggebietenden Eindruck.
    »Seid gegrüßt«, rief sie uns zu. »Sagt, wo können meine Frauen ihr Quartier aufschlagen?«
    »Unser Kommandant wird sich um sie kümmern«, erwiderte Ellemir zurückhaltend. »Da kommt er schon.« Tatsächlich trat Nikal gerade aus der Wachstube

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