Ellorans Traum
noch von unserem abendlichen Beisammensein auf dem Boden stand, war gut halbvoll. Rauchend und mit einem Becher in der Hand blickte ich träumerisch in die Flammen und ließ meine Gedanken auf diese schmetterlingshaft leichte Weise wandern, die ihnen neuerdings immer häufiger innewohnte. Ich hatte begonnen, mich daran zu gewöhnen und es in gewisser Weise sogar zu schätzen gelernt. Meinem Geist fehlte jede Schwere, alles war leicht und schwebend, ohne Schmerzen oder Angst. Das Gefühl, daß mich nichts mehr berühren oder gar verletzen konnte, wog tausendmal den Nachteil auf, daß es mir inzwischen ausnehmend schwer fiel, mich mit einem Gedanken zu beschäftigen. Es war doch alles so einfach; warum sollte ich mir Kopfschmerzen über Dinge machen, die mich im Grunde gar nichts angingen? Julian wußte, was zu tun war, und ich war bereit, seinen Ratschlägen in allem zu folgen.
Als die Morgensonne durch das Fenster fiel, saß ich immer noch so da. Ich hatte keine Sekunde geschlafen – und dennoch fühlte ich mich frisch und ausgeruht. Der Weinkrug war leer, und ich tappte in die Küche, um mir mein Frühstück zu bereiten. Dort fand mich wenig später Julian.
»Hast du gut geschlafen?« fragte er sanft.
»Ich habe überhaupt n-nicht geschlafen, Julian. Aber es geht mir gut, ich fühle m-mich großartig.«
»Das ist eine Auswirkung der Medizin, die du nimmst. Es ist durchaus möglich, daß du noch einige Zeit nicht wirst schlafen können. Sorge dich deswegen nicht, solange du dir immer mal wieder etwas Ruhe gönnst, wird es dir nicht schaden. Ich habe ein paar Dinge für dich vorbereitet. Komm doch bitte in mein Arbeitszimmer, wenn du soweit bist.«
Mit dem Reisesack über der Schulter trat ich wenig später in Julians Zimmer. Er blickte auf und lächelte mich an. »Setz dich her, Ell. Ich muß noch den Zauber erneuern, der dein Aussehen verändert.« Er trat wie am vorherigen Tag auf mich zu und legte mir seine kühle Hand auf die Augen. Der Vorgang dauerte wieder nur einige Atemzüge, dann trat er zurück und begutachtete seinen Zauber. Mit befriedigtem Nicken ließ er sich wieder in seinen Stuhl sinken und schob mir ein versiegeltes Schreiben hin, das ich zögernd und mit fragendem Blick aufnahm.
»Steck das gut weg«, erklärte er. »Falls ich es nicht schaffe, dir rechtzeitig zu folgen, gelangst du damit in die Kronenburg. Aber das ist nur für den Notfall gedacht, ich denke, du wirst es nicht brauchen. Hast du noch den kleinen Spiegel, den ich dir zu deinem letzten Geburtstag geschenkt habe?« Ich nickte. Das Spiegelchen begleitete mich ständig. Er verzog spöttisch den schmalen Mund. »Gut, damit kannst du gegebenenfalls Verbindung zu mir aufnehmen. Was brauchst du noch – Geld, natürlich!«
Er schloß eine Lade auf und entnahm ihr einen schweren Beutel. »Hier, damit dürftest du auskommen, bis wir uns wiedersehen. Spare an nichts, übernachte in guten Herbergen und iß anständig. Du bist noch immer nicht vollständig genesen, Ell.« Er legte mir den Beutel auf meinen Reisesack. Ich sah ihn voller Zuneigung an. Seine Besorgnis bewegte mich tief.
Nun zog er noch ein schmales Päckchen aus der Tasche seines samtenen Gewandes und schob es mir hin. »Damit du nicht denkst, ich hätte es vergessen. Das ist eine kleine Geburtstagsgabe, Ell.«
Gerührt wickelte ich das Päckchen aus und starrte das Geschenk dann sprachlos an: einen kostbar verzierten, schmalen Dolch, dessen Griff ein herrlich geschliffener, fast schwarzer Blutstein krönte. Mit Tränen in den Augen sah ich meinen Onkel an und stammelte einen überwältigten Dank, den er fast ungeduldig abwehrte. »Hast du eine Scheide für den Dolch? Du mußt aufpassen, er ist sehr scharf.« Ich zog mein Messer aus seiner Scheide und steckte zur Probe den Dolch hinein. Er paßte.
»Sehr schön«, meinte Julian. »Das ist ein S'aavaranischer Dolch, eine Arbeit des Ersten Waffenschmiedes am Hofe des maior T'jana. Du bist jetzt siebzehn und hast dir schon längst eine anständige Waffe verdient.« Er erhob sich und ließ eine Hand auf meiner Schulter ruhen, als wir zur Tür gingen. »Ich komme nach, sobald es möglich ist. Ach ja, ich habe dir ein anderes Pferd besorgt, das erschien mir besser.« Er umarmte mich und legte kurz und wie zum Segen seine Hand auf meinen Kopf. »Mache deine Sache gut, Elloran. Ich verlasse mich auf dich!«
Das Pferd, das auf mich wartete, war eine zuverlässig wirkende, grobknochige graue Stute; das glaubwürdige Reittier des
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