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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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freundlich, aber ein wenig ungeduldig. Ich schluckte meine Frage vorerst hinunter.
    Pünktlich zum dritten Wachwechsel fand ich mich wieder in Jemainas Kate ein. Der Raum lag inzwischen fast vollständig im Dunkeln, nur auf dem Tisch brannte eine Talglampe und beschien gelblich die Seiten eines alten Buches. Jemaina saß darübergebeugt und hatte nachdenklich den Kopf in die Hände gelegt. Die Heilerin sah erschöpft aus, ihr Gesicht war grau vor Müdigkeit.
    Ich klopfte leise an den Türpfosten und trat ein. Jemaina schlug das Buch zu und stand auf. Sie knüpfte das aufgehängte Leintuch los und schüttelte die mittlerweile getrockneten Kügelchen in ihre Hand. Dann füllte sie einen Becher mit Wasser und reichte ihn mir. Ihr Gesicht war verschlossen, und ihre Gedanken weilten sichtlich an einem andern Ort. Sie drückte mir drei der kleinen grün-bräunlichen Pillen in die Hand und bedeutete mir, sie hinunterzuschlucken. Ich zögerte. Das verschaffte mir endlich ihre gesamte Aufmerksamkeit.
    »Was ist?« fragte sie befremdet.
    »Wie geht es Nik?«
    Sie zog ihr braunes Wolltuch fester um die Schultern und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Lehnstuhl am Feuer, der nun völlig im Schatten lag. Ich konnte undeutlich die massigen Umrisse eines Mannes ausmachen.
    »Er schläft noch immer?«
    »Ja. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Nimm deine Medizin, Kind.«
    »Darf ich dich etwas fragen, Jemaina?«
    »Was denn?«
    »Du hast vorhin gesagt, die Arznei würde es mir erleichtern zu träumen. Aber meine Träume sind es doch, die mich ...«
    »Mein Fehler«, fiel sie mir ins Wort. »Ich habe das zuerst falsch gesehen. Dein Problem ist weniger, daß du träumst, sondern daß du dich nicht daran erinnern kannst. Genaugenommen hilft die Arznei dir nicht beim Träumen, sondern beim Erinnern deiner Träume. Würdest du sie also bitte jetzt nehmen?« Ihre Stimme klang scharf, einen solchen Ton hatte ich von ihr noch nie zuvor zu hören bekommen. Sie bemerkte es im selben Moment und schloß für eine Sekunde erschöpft die Augen.
    »Ich mache mir große Sorgen um den Kommandanten.« Sie ließ sich wieder schwerfällig am Tisch nieder und legte ratsuchend eine Hand auf das alte Buch. Ich spülte eilig die Pillen herunter und wartete, ob sie weitersprechen würde.
    »Wenn wir zuhause in Hon'hjey wären, würde ich mit ihm zum Weinenden Berg gehen und Die-Die-Sind beschwören, damit sie den fremden Gast in ihm zum Gehen bewegen. Aber hier in Raulikar ...« Ihre Stimme verklang zu einem Flüstern. Sie blickte grübelnd vor sich hin.
    »Wen meinst du mit ›fremder Gast‹?« wagte ich vorsichtig zu fragen.
    »Es ist eine Form der Besessenheit, wie durch einen bösen Geist. Aber im Gegensatz zu diesem ist der fremde Gast nicht böse; er ist – verwirrt, so könnte man sagen. Es genügt meist zur Heilung, wenn Die-Die-Sind ihm den Weg zeigen, damit er gehen kann.«
    »Ist Nik denn besessen?« fragte ich bedrückt.
    »In ihm stecken zwei Männer, sie streiten miteinander, und beide sind unglücklich.« Sie zog finster die Brauen zusammen. »Was mich daran stört, ist, daß der Gast keinen Namen zu besitzen scheint. Ich würde es riskieren, ihn fortzuschicken, auch ohne die Hilfe Derer-Die-Sind, aber ich kann nicht sicher sein, daß ich nicht Nikal fortschicke – oder Teile von ihm – solange ich den Fremden in ihm nicht beim Namen nennen kann.« Die Heilerin schüttelte sich wie eine Katze, die von Wassertropfen getroffen wird. Dann streifte sie ihren fernen Blick ab und sah mich liebevoll an.
    »Geh jetzt zu Bett, mein Junge. Die-Die-Träumen mögen dich behüten.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuß auf die Stirn, der seltsam kühl nachglühte. Mit sanftem Nachdruck schob sie mich zur Tür hinaus. Ich hörte, wie sie hinter mir den Riegel zuschob, und trottete durch den nächtlichen Kräutergarten zurück zum Palas und in meine Kammer.
    Ich war nicht wirklich müde, aber trotzdem sank ich in Schlummer, kaum, daß mein Kopf das Kissen berührte. Ich erwachte an einem dunkel glühenden Ort, der mir eigenartig vertraut erschien. Lange wanderte ich durch Gänge mit leuchtenden Wänden, die sich zu bewegen schienen, wenn ich nicht hinsah. Am Rande meines Blickfeldes tanzten sich windende Schatten, die in die Wände tauchten, wenn ich meinen Blick auf sie richtete, und leise, flüsternde Stimmen schienen mich unablässig zu rufen.
    Endlich kam ich vor eine Tür aus glänzend schwarzem Marmor, deren

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