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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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der dicken Mauern nichts ausrichten.
    Alles war, wie es immer gewesen war, seit ich denken konnte – doch ich fühlte mich wie ein Fremder in einem fremden Land. Mein Schlaf war unruhig und wenig erquickend, meine Träume wirr und beunruhigend. Nach dem Aufwachen konnte ich mich nicht an sie erinnern, aber immer wieder tauchten tagsüber beängstigende Bilder in mir auf, die nur aus meinen nächtlichen Träumen stammen konnten. Mich quälten Vorstellungen von bösen, gesichtslosen Mächten, die danach trachteten, mich in zwei Hälften zu schneiden, wobei jede dieser Hälften ein vollständiges Abbild meiner selbst war, die eine männlich und die andere weiblich. Immer wieder erschien das angstvolle Gesicht des Mädchens, das mir so erschreckend ähnlich war, vor meinen Augen. Ich suchte deswegen Jemaina auf, und sie gab mir einen ihrer sonst so wirksamen Kräutertränke; doch diesmal half er mir nicht.
    Nikal mein Leid zu klagen, erschien mir zwecklos. Wie hätte er mir beistehen können? Zudem verhielt er sich zunehmend mürrisch und gereizt, fast bösartig. Bei einer Gelegenheit brüllte er mich mit jähzorniger Röte in seinem zerfurchten Gesicht an, ohne daß ich ihm in irgendeiner Weise Anlaß dazu gegeben hätte: ich möge ihn, bei Omellis Glasauge, endlich einmal in Ruhe lassen, das sei doch wohl nicht zuviel verlangt, schließlich sei er nicht mein verdammtes Kindermädchen, auch wenn ich widerwärtige Rotznase mir das einzubilden glaube ...
    So hatte ich Nikal noch nie zuvor erlebt, er erschien mir wie ein vollkommen Fremder. Versteinert stand ich da und wußte nicht, wie mir geschah. Dann war sein Wutanfall so plötzlich vorbei, wie er begonnen hatte. Wir starrten uns eine Weile lang stumm und fassungslos an, dann murmelte er hastig so etwas wie eine Entschuldigung und ließ mich stehen.
    Nicht lange nach diesem unerfreulichen Zwischenfall suchte ich erneut Jemaina in ihrer Kate auf, in der Hoffnung, sie hätte inzwischen ein wirksameres Mittel gegen meine Alpträume gefunden. Neuerdings mußte ich den Kopf einziehen, wenn ich durch die niedrige Tür in den dämmrigen, nach getrocknetem Sommer duftenden Raum trat. Deshalb bemerkte ich zu spät, daß Jemaina bereits Besuch hatte. Er saß im Lehnstuhl neben dem Kamin und kehrte mir den Rücken zu, das Gesicht in den Händen vergraben. Kurzes graublondes Haar leuchtete im rötlichen Schein des Feuers. Die Heilerin, die schweigend und ihre Pfeife rauchend neben ihm saß, sah mich und gab mir ein Zeichen, mich ruhig zu verhalten. Ich wandte mich zum Gehen, aber sie hielt mich mit einer ungeduldigen Handbewegung zurück und deutete auf einen Hocker in der Nähe der Tür. Erstaunt über ihre ungewöhnlich betroffene Miene gehorchte ich und setzte mich leise nieder.
    Lange war in der Stille des Raumes nur das Prasseln und Knacken des Feuers zu vernehmen. Dann begann Nikal zu reden, schleppend und verwaschen, als spräche er im Schlaf oder unter dem Einfluß von zu reichlich genossenem Bier.
    »Ich hab dir nie von meinem Vater erzählt, oder? Wir haben uns ständig gestritten. Er hatte eine Stinkwut auf mich, weil ich nicht Arzt werden wollte – wie er. Alle Männer seiner Familie waren Mediziner, nur sein verdammter einziger Sohn pfiff auf die Tradition und ging zum Militär.« Er lachte kurz und freudlos auf, dann folgte eine lange Pause, in der nur sein schwerer Atem zu hören war. Ich dachte über das Gehörte nach. Nikal hatte nie viel von sich erzählt; was ich über ihn wußte, hatte ich mir aus beiläufigen Bemerkungen zusammengereimt. So wußte ich kaum mehr von ihm, als daß er Söldner gewesen war. Über seine Herkunft, seine Familie, seine Eltern hatte er nie auch nur ein Wort verloren.
    Jemaina beugte sich vor, um ihre Pfeife am Kamin auszuklopfen. »Erzähl weiter, Kommandant«, bat sie behutsam. Er seufzte tief und hoffnungslos.
    »Meine Mutter mußte uns alle allein durchbringen, als Vater starb«, fuhr er in der gleichen lallenden, undeutlichen Redeweise fort. »Er war Fischer und eines Tages ist er nicht mehr vom Meer zurückgekommen. Ich lag noch in den Windeln, kann mich nicht mal mehr richtig an ihn erinnern.« Wieder eine Pause. Jemaina warf mir einen alarmierten Blick zu, den ich verwirrt erwiderte. Was ging hier vor sich? Was redete er da für wirres Zeug?
    »Bin dann bei Omellis Truppe gelandet. War ein guter Haufen, aber ich hab sie verloren. Weiß jetzt nicht mehr, wie ich nach Haus kommen soll. Weiß ja noch nicht mal, wo zu Hause

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