Ellorans Traum
Aufrichtigkeit. Doch diese Ehrlichkeit konnte vorgetäuscht sein; ich hielt ihn für schauspielerisch äußerst talentiert.
Er wartete einen Augenblick auf eine Antwort und fuhr, als ich beharrlich schwieg, leise fort: »Wir haben uns vor einigen Jahren getrennt, und die anderen und ich bereisten lange einen anderen Teil der Welt. Wir hatten einen Treffpunkt ausgemacht und einen Zeitpunkt, an dem wir uns wiedersehen wollten. Aber Nikal ist dort nicht erschienen und hat auch nichts von sich hören lassen. Also haben wir begonnen, nach ihm zu suchen. Wir haben uns große Sorgen gemacht, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte, weil er – er war nicht ganz gesund, als wir uns trennten. Es entspricht ganz und gar nicht seiner Art, eine Verabredung nicht einzuhalten.«
Toms Katzenaugen waren mit größter Eindringlichkeit auf mich gerichtet. Es kam mir vor, als versuchte er mit der ganzen ihm zur Verfügung stehenden Kraft seiner Ausstrahlung, mich von seinen guten Absichten zu überzeugen.
»Wir nahmen schließlich an, er sei tot. Aber einer von uns besitzt besondere Fähigkeiten. Er war davon überzeugt, daß Nikolai noch am Leben sein mußte, wenn auch vielleicht – nun ja – unter Umständen geistig verwirrt ...« Er stockte. Sein Gesicht zeigte Trauer und ehrliche Sorge. Seine Worte und mehr noch das Gefühl, das in ihnen mitschwang, bewogen mich dazu, über meinen Schatten zu springen und ihm zu verraten, was ich über Nik und seinen jetzigen Aufenthaltsort wußte. Mein Bericht versetzte ihn derart in Aufregung, daß er darauf bestand, seinen Begleiter aufzusuchen und ihn unverzüglich ins Bild zu setzen.
Jemaina und Akim saßen im schwindenden Licht vor der Kate und steckten die Köpfe zusammen. Die Miene des Heilers war finster.
»Maddoc, du mußt dir anhören, was der Junge zu erzählen hat«, rief Tom, sobald wir in Hörweite waren. Akim blickte gereizt auf.
»Wenn es um Kolja und seine – Anfälle geht, hat Jemaina mir bereits alles erzählt«, sagte er kühl. »Es ist genau, wie ich befürchtet habe. Wir sollten zusehen, daß wir Galen einsammeln und dann diese verdammte Stadt ausfindig machen, ehe irgendeiner dieser hinterwäldlerischen Zauberkünstler die ganze Angelegenheit vermasselt!«
»Akim«, mahnte Tom sanft. Der Heiler schnaubte aufgebracht.
»Es ist doch zum Mäusemelken! Hätte die Kleine nicht darauf bestanden, sich mit diesem lausigen Handelsschoner einzuschiffen, dann hätten wir nicht den Umweg über Sturmhaven nehmen müssen und hätten Kolja hier noch erwischt. Wir wären jetzt auf dem Weg nach Hause, Tom!«
»Hätte, hätte nicht!« lachte der Kater. »Wir haben aber; und wir haben auch zum ersten Mal eine brauchbare Spur, die zu unserem Freund führt, und das ist weitaus mehr, als wir die ganze Zeit über hatten. Also verschone bitte die Anwesenden mit deiner mehr als schlechten Laune!« Er schnitt eine grüblerische Grimasse. »Sag mir lieber eines: wie stehen wir da, wenn sich herausstellen sollte, daß der in jeder Beziehung durchgebrannte Kommandant dieser reizenden Burg wider Erwarten nicht unser gesuchter Freund ist? Wir haben schließlich nur die etwas unbestimmte Vermutung, daß er es sein könnte !«
Akim grinste humorlos und tippte wortlos auf eine Stelle dicht unter seinem linken Auge; die gleiche Stelle, an der Nik eine auffällig geformte Narbe trug. Tom stöhnte auf und verdrehte theatralisch die Augen. »Das hat er mir nie vergeben«, sagte er mit Grabesstimme.
»Hätte ich an seiner Stelle auch nicht. Es hat ihn fast das Auge gekostet«, lautete des Heilers trockene Antwort. Tom lachte und schob seinen Arm unter meinen, um mich mit sich zu ziehen. Das wurde langsam zu einer üblen Angewohnheit.
»Komm mit mir, mein Guter, und zeige mir den Schauplatz meines abendlichen Auftrittes, damit ich das eine und andere vorbereiten kann. Wie steht es mit dir, bist du im Besitz einer schönen Singstimme, oder verstehst du dich auf ein Instrument?«
Ich erwartete voller Spannung die Vorführung des Spielmannes. Seine Vorbereitungen hatten sich als nicht allzu aufwendig erwiesen; es ging dabei hauptsächlich darum, eine Art kleiner Bühne zu schaffen und die langen Tische der Halle etwas umzugruppieren, damit möglichst viele Zuschauer Platz fanden und sie alle eine einigermaßen ungehinderte Sicht auf das Podest hatten.
Lange vor Beginn der Vorstellung war die große Halle schon zum Bersten gefüllt. Es schien, als seien nicht nur sämtliche Burgbewohner anwesend –
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