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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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verschwinden ließ. Dann wandte sich mein Vater an die Menge und verkündete, daß zur Feier dieses Tages draußen im Hof ein Fest vorbereitet worden sei und es für alle reichlich zu essen und zu trinken gäbe. Die Leute jubelten ihm zu und drängten sich eilig durch die Tür ins Freie. Tom blieb auf dem Rande des Podestes hocken und leerte gemächlich seinen Becher.
    »Komm her zu mir, junger Freund«, winkte er mir. »Hat dir meine Darbietung gefallen?« Er zog die Kappe ab und wischte sich den Schweiß von der hohen Stirn.
    »Außerordentlich«, sagte ich ehrlich. Er blickte angenehm überrascht auf und lächelte mich an.
    »Das freut mich; das freut mich sogar mehr, als du glaubst«, sagte er. »Deine Meinung ist mir sehr wichtig.« Ich wand mich unbehaglich. Was wollte er nur von mir? Er benahm sich fast so, als würde er mir den Hof machen. Er klopfte einladend neben sich auf das Podest und begann, seine Weste aufzuschnüren. Widerstrebend hockte ich mich neben ihn.
    »Soll ich dir noch etwas Wein besorgen?« bot ich ihm an, als er jetzt auch noch seine Hemdverschlüsse lockerte. Dichter schwarzer Pelz kräuselte sich weich aus dem Ausschnitt. Der Sänger reckte sich ächzend.
    »Ach, mein Lieber, ich werde wohl doch alt. Noch vor wenigen Jahren hätte ich fünf solcher Darbietungen an einem Tag erledigt, danach eine Kanne guten Weins geleert und hätte immer noch genügend Saft übrig gehabt, mir ein hübsches junges Ding in mein Bett zu holen. Aber sieh mich jetzt an: müde und verbraucht bin ich!« Ich musterte ihn verdutzt. Er sah eigentlich nur ein wenig erschöpft aus. Um seine Augen und in den Mundwinkeln zeigten sich kleine Fältchen, doch sein Haar war schwarz und dicht – gut, vielleicht nicht gerade auf dem Kopf, aber überall sonst – und sein Körper schien kraftvoll und geschmeidig zu sein.
    »Wie alt bist du, Tom?« hörte ich mich zu meinem eigenen Entsetzen meine Frage laut aussprechen. Warum bloß war mein Mundwerk immer schneller als mein Hirn? Ich begann stammelnd, mich für meine vorlaute Frage zu entschuldigen, aber Tom grinste nur und bot mir so die Gelegenheit, seine spitzen Zähne aus nächster Nähe zu bewundern. Ein wahrhaft beeindruckender Anblick. Ob er sein Gebiß wohl im Notfall als Waffe benutzen mochte?
    Er beugte sich vertraulich zu mir. »Versprichst du mir hoch und heilig, das Geheimnis nicht weiterzusagen, vor allem nicht an hübsche junge Damen?« hauchte er theatralisch. Ich kicherte und schwor einen feierlichen Eid auf mein Augenlicht. Der Hinweis auf die ›jungen Damen‹ hatte meinen Argwohn etwas beruhigt.
    Tom beugte sich noch näher, nachdem er sich übertrieben vorsichtig nach allen Seiten umgesehen hatte. Ich nahm den Geruch seines Körpers wahr: würzig mit einem Hauch Schärfe wie von Muskat.
    »Dreiundachtzig Jahre habe ich auf meinem armen alten Buckel«, wisperte Tom in mein Ohr. Ich sah ihn empört an. Er saß da, mit treuherzigem Blick und ernsthaft gerunzelter Stirn. Ich mußte lachen. Das war die gerechte Strafe für meinen Vorwitz! Doch in der Verdrehung lag sicherlich die Wahrheit verborgen: Achtunddreißig war der Spielmann; und damit sogar älter als meine Mutter.
    Sein verschmitztes Lächeln vertiefte sich. »Ein ehrwürdiger Greis sitzt da neben dir, nicht wahr?« spöttelte er. »Bist du dennoch bereit, dich mit mir abzugeben, mein liebenswürdiger junger Freund?«
    Sein strahlendes, aber häßliches Gesicht mit der kahlen Stirn und den spitzen, behaarten Ohren rührte mich seltsam an. Mein hartnäckiges Mißtrauen ihm gegenüber schwand wie Schnee in der Sonne. In diesem verschrobenen Menschen schien wirklich kein Platz für irgendwelche Falschheit zu sein.
    »Komm, Freund, wir holen uns etwas zu trinken. Ich verspüre große Lust, den glücklichen Tag zu feiern, an dem wir uns kennenlernten.«
    Wie zufällig landete seine Hand während dieser Worte auf meinem Schenkel. Ich hörte nicht mehr auf das, was er sagte, so sehr beunruhigte mich diese Berührung. Wieder fiel mir auf, daß Tom eine höhere Körpertemperatur zu besitzen schien als andere Menschen. Seine Hand fühlte sich warm und trocken an, es war kein unangenehmes Gefühl, aber dennoch fremdartig. Und jetzt stieg auch wieder sein charakteristischer Duft in meine Nase: dieses starke Aroma von etwas pfeffrigem Muskat. Nahm ich ihn jetzt nur bewußter wahr, oder verstärkte er sich tatsächlich?
    Ich schreckte aus meinen Gedanken. Wann hatte Tom eigentlich aufgehört, zu sprechen? Er sah

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