Ellorans Traum
hereinwagte.
Endlich fand ich in einer der Truhen das, was ich suchte. Julian war kein Freund von Spiegelmagie, er hielt sie für unzuverlässig und unelegant, ein Hilfsmittel für magische Stümper. Glücklicherweise war er dennoch so gründlich gewesen, mich, wenn auch in aller Kürze, darin zu unterweisen. Ich pustete vorsichtig den Staub von dem runden kleinen Spiegel, den ich aus der Truhe gehoben hatte, und polierte ihn dann blitzblank. Ich breitete das schwarze Samttuch, in das er eingeschlagen gewesen war, auf dem Tisch aus und legte ihn behutsam darauf. Dann zog ich mir Julians Lehnstuhl heran und beugte mich über den Spiegel. Ich atmete tief ein und aus und fokussierte meine Augen zunächst auf den Rahmen. Ich folgte den Schnörkeln und Ranken aus schwarz angelaufenem Silber rundherum, bis ich merkte, daß mir schwindelig wurde. Mein Blick verschwamm, und ich richtete meine tränenden Augen auf die Spiegelfläche. Nebel schien in der Tiefe des Spiegels zu entstehen und langsam an die Oberfläche zu ziehen. Ich konzentrierte mich und ließ Julians Gesicht vor meinem inneren Auge entstehen. Das war der heikelste Teil der Beschwörung, wenn ich hier nicht sehr genau auf das allerkleinste Detail seiner Erscheinung achtete, lief ich Gefahr, einen der kleineren Dämonen aus der WeltUnten zu beschwören, der dann in Julians verzerrter Gestalt hier im Turmzimmer erschien. Das war nicht allzu gefährlich, die kleineren Dämonen galten als so etwas wie Stechmücken der Geisterwelt, lästig und leicht zu erledigen. Aber es hätte eine unnütze Verzögerung bedeutet, deshalb konzentrierte ich mich lieber.
Der Nebel wallte dicht über der Oberfläche des Spiegels auf und bildete amorphe Formen. Dann zog er sich zusammen, ballte sich im Zentrum der Spiegelfläche und formte sich zu dem Gesicht, das ich vor meinem inneren Auge hatte erstehen lassen. Zuerst war es leblos und tot, mit geschlossenen Augen und weiß wie das einer Wachspuppe. Aber als ich nun Julians Namen rief, erwachte das Abbild zu plötzlichem Leben, öffnete seine Augen und sah mich an. Ich war von heißem Stolz erfüllt, daß mir diese Beschwörung gelungen war, ohne daß mein Lehrer mir beigestanden hätte. Dann verdrängte ich dieses Gefühl und rief noch einmal seinen Namen. Das Gesicht bekam seine natürlichen Farben, und Julian runzelte verblüfft die Stirn. »Wer ist – oh, du hast mich gerufen!« Er lächelte sein sparsames Lächeln, das nur die Mundwinkel kräuselte, aber das war mir Lob genug. Hastig erzählte ich ihm von meiner geplanten Reise. Er nickte kurz und bot mir an, Magramanir zu schicken, damit wir ohne komplizierte Anrufungen und Beschwörungen in Verbindung bleiben konnten.
»Julian?« fragte ich zögernd, als er die Verbindung abbrechen wollte. »Ich traue mich ja kaum zu fragen, aber wie geht es ...«
»Nikal?« unterbrach er mich, ungeduldig, wie mir schien. »Ich kann dir nichts Neues berichten. Er ist noch immer nicht der Alte. Aber wir glauben, daß wir einen Weg finden können, ihn zurückzuholen. Meine gelehrtesten Magierkollegen arbeiten daran. Er ist ein – interessanter Fall, dein Kommandant. Irgend etwas in seinem Kopf richtet ein unglaubliches Durcheinander an. Sonst noch was?« Ich beeilte mich, das zu verneinen, obwohl mich seine spärlichen Informationen nicht sehr befriedigt hatten. Aber wenn Julian in dieser Stimmung war, schien es ratsam, seine Geduld nicht zu strapazieren. Also verabschiedete ich mich und beendete die Beschwörung.
Mit leisem Bedauern schlug ich den Spiegel wieder in sein Samttuch ein und legte ihn in die Truhe zurück. Ich hätte ihn gerne mitgenommen und versucht, meine Schwester damit zu erreichen. Aber ich hatte eine Ahnung, daß dies eine magische Beschwörung sein würde, die ich tunlichst nicht auf eigene Faust unternehmen sollte. Ich schloß also die Truhe und verließ den Turm. Ob es nun eine Vorahnung war oder bloß ein Spiel meiner überreizten Nerven – aber plötzlich war ich überzeugt davon, dieses Gemach niemals wiederzusehen. Der Gedanke stimmte mich dermaßen melancholisch, daß ich mich aufmachte, um mich von Ellemir zu verabschieden.
Sie saß in der Fensternische ihres Gemaches, neben sich zwei ihrer derzeitigen Lieblingsgefährtinnen. Ich blieb einen Augenblick lang in der Tür stehen und betrachtete das Bild, das sich mir darbot. Ellemir beugte sich zu Jirin, einer hübschen goldhaarigen Frau, und sagte ihr neckend etwas ins Ohr. Noryna, dunkelhaarig und
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