Ellorans Traum
»Über deine seltsame Auffassung von ewiger Treue, glaube ich. Kein Wunder, daß er dir eins aufs Maul ...«
»Ach, halt doch den Mund!« fauchte Tom. »Wir haben darüber nachgedacht, was wir mit Nikolai machen, wenn wir ihn endlich gefunden haben. Ich sage dir, von mir aus kann er hier in dieser verlausten Ecke des Universums verrotten! Ich hab die Schnauze gestrichen voll! Ich will endlich wieder nach Hause, raus aus diesen albernen Kleidern, ein anständiges heißes Bad nehmen, in die nächste Kneipe gehen und mich mit ein paar Leuten unterhalten, die so riechen wie ich und meine Sprache sprechen ...« Er schnappte nach Luft. Akim lachte nicht mehr.
»Weißt du«, sagte er nachdenklich, »du hast gar nicht so unrecht. Wir sind schon viel zu lange hier. Aber wir sind nun einmal Omellis Leute: mitgefangen, mitgehangen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen es zu einem guten Ende bringen. Sei ehrlich, du wärst doch der Letzte, der Kolja hier zurückließe, solange noch ein Rest Hoffnung besteht, daß er am Leben sein könnte.« Der Spielmann antwortete nicht. Nur das Rollen der Räder und dumpfe Klopfen der Hufe auf dem weichen Boden des Waldweges erklang für eine lange Weile.
Mein schmerzender Kopf hatte eine ordentliche Nuß zu knacken bekommen. Endlich fiel mir ein, wo ich den Namen ›Omelli‹ zuvor gehört hatte. War ich denn völlig vernagelt gewesen? Ich hatte ihn doch häufig genug aus Nikals Mund vernommen! Was hatte er noch über Omellis Leute gesagt? Ich dachte fieberhaft nach, was mir schwerfiel, weil mir der Schädel noch von Akims Schlag brummte. Ja, das war es gewesen: Bin dann bei Omellis Truppe gelandet. War ein guter Haufen, aber ich habe sie verloren.
Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich in meinem Kopf das vertraute Echo von Nikals Stimme vernahm. Entschlossen schüttelte ich sie weg. Diese dauernde Heulerei mußte ich mir dringend wieder abgewöhnen. Wie ein verdammtes Mädchen!
Ich ließ mich zurücksinken. Was hatte ich nur angerichtet! Wie es aussah, war alles ein riesengroßes Mißverständnis: Tom und sein Begleiter gehörten zu Omellis Leuten, die Nikal so schmerzlich vermißt hatte, und ich hatte den wohlmeinenden armen Tom geschlagen, bespuckt, aufs übelste beschimpft ... ich stöhnte laut auf.
»Halt den Wagen an!« rief Tom draußen aufgeregt. »Hast du das gehört? Was mußtest du das arme Kind auch so hart schlagen?« Ich hörte ihn vom Bock springen und um den Wagen herumlaufen. Er riß die Tür auf und war mit einem Satz bei mir. Sein besorgtes Gesicht beugte sich über mich. Begeistert sah ich auf seinen Mund. Dort war erstaunlicherweise keine Spur einer Verletzung mehr zu sehen. Dann wagte ich es, in seine Augen zu sehen. In ihnen stand kein Haß, wie ich eigentlich erwartet hatte, nur Sorge.
»Hast du Schmerzen?« fragte er. Ich schüttelte beschämt den Kopf, was ein Fehler war. »Natürlich hast du Schmerzen!« rief Tom empört. »Akim, du brutaler Mensch, gib dem Jungen was für seinen Kopf!« Er begann, meine Fesseln zu lösen, hielt inne, sah auf mich herunter. »Versprichst du mir, nicht gleich wieder auf mich loszugehen?«
»Versprochen«, flüsterte ich. Er band mich los und half mir hoch. Ich rieb meine Handgelenke und mied seinen Blick. Akim kletterte zu uns hinein und drückte mir eine kleine Kapsel in die Hand.
»Schlucken«, sagte er knapp und unfreundlich und ging hinaus. Kurz darauf ruckte der Wagen wieder an. Ich drehte die Kapsel unschlüssig zwischen den Fingern und spürte Toms Augen auf mir ruhen. Schwerfällig hob ich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Er streckte mir eine Hand entgegen, die ich zögernd ergriff. Sein Gesicht hellte sich auf, und er zog mich an sich.
»Verzeih mir«, sagte ich leise. »Ich habe euer Gespräch mitangehört und wahrscheinlich alles schrecklich falsch verstanden.« Er strich sacht über meine schmerzende Stirn.
»Laß, chu-chula . Wir reden später darüber, wenn du dich wieder besser fühlst. Nimm jetzt deine Medizin.« Ich gehorchte, und wir saßen lange Zeit schweigend nebeneinander.
»Reiter hinter uns!« rief Akim. Ich fuhr hoch und hielt meinen schmerzenden Schädel.
»Verdammnis!« fluchte Tom. »Wie nah sind sie?«
»Zu nah, als daß der Junge noch vom Wagen springen könnte. Sie haben uns gleich eingeholt.«
Tom ergriff eine der Kisten mit seinen Requisiten und kippte sie aus. »Los, rein.«
Ich quetschte mich in das viel zu kleine Behältnis. Tom häufte Kostüme und Decken auf mich und
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