Elric von Melnibone
Ich bitte dich, Schwester, ist das ein Wort, das ein echter Melniboneer benutzt? Wir Melniboneer halten nichts für vernünftig oder verrückt. Was ein Mann ist - ist er eben. Was er tut - tut er. Vielleicht lebst du schon zu lange in den Jungen Königreichen, vielleicht färben die hiesigen Ansichten auf dich ab. Aber das läßt sich schnell wieder geradebiegen. Wir werden im Triumph auf die Dracheninsel zurückkehren, und du wirst das alles vergessen, als hättest du ebenfalls in den Gedächtnisspiegel geschaut.« Nervös blickte er nach oben, als rechne er damit, der Spiegel könne auf ihn gerichtet sein.
Cymoril schloß die Augen und atmete langsam durch; sie ertrug diesen Alptraum mit Ergebenheit, in dem sicheren Bewußtsein, daß Elric sie irgendwann daraus erlösen würde. Allein dieser Hoffnung wegen hatte sie sich bisher noch nicht umgebracht. Sollte diese Hoffnung jemals völlig schwinden, wollte sie ihren Tod herbeiführen und Yyrkoons und seiner Schrecken für immer ledig sein.
»Habe ich dir schon gesagt, daß ich gestern abend Erfolg hatte?
Ich rief Dämonen herbei, Cymoril, mächtige schwarze Dämonen! Und ich lernte von ihnen, was es noch zu lernen gab. Und ich öffnete endlich das Schattentor. Bald werde ich hindurchtreten, dann ist das Gesuchte nicht mehr fern. Dann bin ich der mächtigste Sterbliche auf der Erde. Habe ich dir das alles schon erzählt, Cymoril?«
In Wirklichkeit hatte er ihr diese Geschichte heute früh schon mehrmals dargestellt, doch Cymoril hatte nicht mehr darauf geachtet als jetzt. Sie war ungeheuer müde. Sie versuchte zu schlafen. Langsam, als wolle sie sich selbst an etwas erinnern, sagte sie: »Ich hasse dich, Yyrkoon.«
»Ah, aber bald wirst du mich lieben, Cymoril. Bald.«
»Elric wird kommen.«
»Elric! Ha! Der sitzt in seinem Turm, dreht Däumchen und wartet auf Nachrichten, die nie kommen werden - außer wenn ich sie ihm bringe!«
»Elric wird kommen«, sagte sie.
Yyrkoon stieß einen fauchenden Laut aus. Ein grobgesichtiges oinisches Mädchen brachte ihm Wein. Yyrkoon packte den Kelch und kostete von der Flüssigkeit, dann spuckte er sie dem Mädchen ins Gesicht, das zitternd den Kopf einzog und davonhuschte. Yyrkoon packte den Krug und leerte ihn in den weißen Staub des Daches. »Das ist Elrics dünnes Blut. So wird es verströmen!«
Doch wieder hörte Cymoril ihm nicht zu. Sie versuchte sich an Elric zu erinnern und an die wenigen schönen Tage, die sie seit ihrer Kindheit miteinander verbracht hatten.
Yyrkoon schleuderte erbost den schweren Krug nach der Dienerin, doch diese wich geschickt aus. Dabei murmelte sie ihre Standardantwort auf alle seine Angriffe und Beleidigungen. »Vielen Dank, Dämonenlord«, sagte sie. »Vielen Dank, Dämonenlord.«
Yyrkoon lachte. »Aye. Dämonenlord. Es ist schon richtig von deinem Volk, mich so zu nennen, denn ich herrsche über mehr Dämonen als Menschen. Meine Macht wächst mit jedem Tag!«
Das Oin-Mädchen eilte fort, um frischen Wein zu holen, wußte es doch, daß er gleich danach verlangen würde. Yyrkoon ging quer über das Dach, um durch die Schlitze in der Balustrade auf den Beweis seiner Macht zu starren, doch während er noch die Schiffe betrachtete, hörte er von der anderen Seite des Daches Lärm und Geschrei. Waren die Yutier und die Oinier etwa in Streit geraten? Wo steckten die imrryrischen Zenturione? Wo war Hauptmann Valharik?
Yyrkoon eilte über das Dach, vorbei an Cymoril, die zu schlafen schien, und starrte auf die Straße hinab.
»Feuer?« fragte er leise. »Feuer?«
Tatsächlich - in den Straßen schien es zu brennen. Doch es handelte sich nicht um gewöhnliche Flammen. Feuerbälle schienen herumzuhuschen und entzündeten riedgedeckte Dächer und hölzerne Türen, alles, was sofort in Flammen aufging - wie eine angreifende Armee, die ein Dorf mit einem Feuersturm vernichten will.
Yyrkoon runzelte die Stirn. Er hielt es anfänglich für möglich, daß er unachtsam gewesen war und eine seiner Zaubereien gegen ihn rebellierte, aber dann blickte er über die brennenden Häuser zum Fluß und sah dort ein seltsames Schiff, ein Schiff voller Anmut und Schönheit, ein Schiff, das weniger ein Werk des Menschen als etwas Naturgewachsenes zu sein schien - und da wußte er, daß sie angegriffen wurden.
Aber wer sollte Dhoz-Kam angreifen? Die Beute, die hier zu holen war, lohnte die Mühe nicht. Die Imrryrier konnten es nicht sein.
Es konnte nicht Elric sein.
»Es darf nicht Elric sein!« knurrte er.
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