Elric von Melnibone
»Der Spiegel! Er muß auf die Eindringlinge gerichtet werden.«
»Und auf dich selbst, Bruder?« Cymoril hatte sich mit unsicheren Bewegungen aufgerichtet und lehnte nun am Tisch. Sie lächelte. »Du warst zu selbstsicher, Yyrkoon. Elric kommt!«
»Elric? Unsinn! Ein Barbarenpirat aus dem Landesinneren, weiter nichts. Wenn er im Stadtzentrum ist, können wir den Gedächtnisspiegel gegen ihn einsetzen!« Er lief zur Falltür, die ins Haus hinabführte. »Hauptmann Valharik! Valharik, wo bist du?«
Valharik erschien in dem Zimmer, das unterm Dach lag. Er schwitzte. Seine behandschuhte Rechte hielt eine Klinge, obwohl er bis jetzt offenbar nicht gekämpft hatte.
»Laß den Spiegel vorbereiten, Valharik. Richte ihn auf die Angreifer.«
»Aber, mein Lord, dabei könnten wir.«
»Beeil dich! Tu, was ich sage. Bald werden wir diese Barbaren in unsere Armee einreihen - und auch ihre Schiffe.«
»Barbaren, mein Lord? Haben Barbaren Macht über Feuerwesen? Unsere Gegner sind Flammengeister. Sie lassen sich so wenig aufspießen wie das Feuer selbst.«
»Feuer läßt sich mit Wasser bekämpfen«, schrie Prinz Yyrkoon seinen Offizier an. »Mit Wasser, Hauptmann Valharik. Hast du das vergessen?«
»Prinz Yyrkoon, wir haben längst versucht, die Elementargeister mit Wasser zu vertreiben - aber das Wasser wird zu Eis und rührt sich nicht aus unseren Eimern! Ein mächtiger Zauberer gebietet über die Angreifer. Ihm helfen die Geister von Feuer und Wasser.«
»Du bist ja verrückt, Hauptmann Valharik«, sagte Yyrkoon entschlossen. »Verrückt! Bereite den Spiegel vor und hör auf, solchen Unsinn zu reden.«
Valharik fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Aye, mein Lord.« Er verneigte sich und machte sich daran, den Befehl seines Herrn auszuführen.
Wieder ging Yyrkoon zur Balustrade und blickte hinaus. Männer waren auf der Straße erschienen und kämpften gegen seine Krieger, aber Rauch vernebelte die Sicht, er konnte die Eindringlinge nicht deutlich sehen. »Genießt euren kleinen Sieg«, sagte Yyrkoon leise lachend. »Bald nimmt euch der Spiegel den Verstand, dann seid ihr meine Sklaven.«
»Es ist Elric«, sagte Cymoril leise und lächelte. »Elric ist gekommen, um sich an dir zu rächen, Bruder.«
Yyrkoon kicherte. »Meinst du? Meinst du? Nun, sollte das der Fall sein, wird er mich nicht hier antreffen, denn ich habe eine Möglichkeit, ihm zu entwischen - und dann findet er dich in einem Zustand vor, der ihm nicht gefallen und erhebliche Qualen bereiten wird. Aber es ist nicht Elric dort draußen, sondern irgendein primitiver Schamane aus den Steppen östlich von hier. Er wird bald in meiner Macht sein!«
Cymoril starrte nun ebenfalls durch die Schlitze in der Balustrade.
»Elric«, sagte sie. »Ich sehe seinen Helm.«
»Was?« Yyrkoon stieß sie zur Seite. Dort unten kämpften Imrryrier gegen Imrryrier, daran gab es keinen Zweifel mehr. Yyrkoons Männer - Imrryrier, Oinier und Yutier - wurden zurückgedrängt. Und an der Spitze der angreifenden Imrryrier bewegte sich ein schwarzer Drachenhelm, wie ihn nur ein Melniboneer trug. Elrics Helm! Und Elrics Schwert, die Klinge, die früher einmal Graf Aubec von Malador gehört hatte. Sie stieg empor und zuckte herab und war hell von Blut, das im morgendlichen Sonnenschein schimmerte. Einen Augenblick lang war Yyrkoon außer sich vor Verzweiflung. Er stöhnte auf. »Elric. Elric. Elric. Ach, wie sehr wir uns doch immer wieder unterschätzen!
Welcher Fluch liegt auf uns?«
Cymoril hatte den Kopf in den Nacken geworfen, und ihr Gesicht war zum erstenmal seit langer Zeit wieder voller Leben. »Ich habe dir doch gesagt, daß er kommen würde, Bruder!«
Yyrkoon fuhr zu ihr herum. »Aye, er ist gekommen - und der Spiegel wird ihm das Gehirn ausbrennen, und er wird mein Sklave sein und alles glauben, was ich ihm in den Schädel
pflanze. Das ist sogar noch schöner, als ich es ursprünglich geplant hatte, Schwester. Ha!« Er blickte hoch und legte hastig die Arme vor die Augen, als ihm klar wurde, was da passierte.
»Schnellhinab ins Haus - der Spiegel beginnt sich zu drehen!« Gestänge hallte, Flaschenzüge knirschten, Ketten klirrten, und der schreckliche Gedächtnisspiegel machte Anstalten, sich auf die tieferliegenden Straßen zu richten. »Nicht mehr lange, dann gehört Elric mitsamt seinen Männern meiner Armee an! Welche Ironie!« Yyrkoon drängte seine Schwester die Treppe hinab, die ins Haus führte, und schloß die Falltür hinter sich.
Weitere Kostenlose Bücher