Elsa ungeheuer (German Edition)
ihr Herz. Sobald das Mädchen bei uns auftauchte, begann sie zu schnurren.
Milch, Elsas Zuwendung und ein paar Tropfen Wermut ließen die Tigerkatze in Windeseile gesunden. Schon bald streunte sie nachts durch die Felder, und keinen Monat später war sie trächtig.
Anfang April bauten Randolph und Elsa ihr aus alten Handtüchern ein Nest im Eselzimmer.
Ich weiß, dass ich das Miauen der Katzenbabys unmöglich in der dritten Etage gehört haben kann. Aber so hat sich dieser Abend in mein Gedächtnis gebrannt.
Lorenz litt schon seit einigen Tagen unter Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Als seine Mandeln an jenem Nachmittag auf Elefantengröße anschwollen, überwies Grievenhast ihn ins Krankenhaus. Da Randolph, der zwar nicht volltrunken, aber keineswegs nüchtern war, für unfähig befunden wurde, Lorenz zu fahren, brachte das Murmeltier Vater und Sohn in die Klinik. Lorenz wurde dabehalten. Seine Eskorte nächtigte im Hotel der Stadt.
Elsa und ich waren ein wenig enttäuscht, dass man uns nicht mitgenommen hatte. Wir hockten in der Scheune auf den Resten des Opel Admiral und ritzten mit einem rostigen Messer unsere Namen in den abgeblätterten Lack. Dann rief die Kratzlerin mich zum Essen, und Elsa marschierte nach Hause.
Das Angebot unserer Haushälterin, mir nach dem Abendbrot eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, lehnte ich dankend ab. Hat man erst mal von Concettas riesigem Arsch gehört, kann einem Frau Holle gestohlen bleiben. Um dem langweiligen Gefasel der Kratzlerin über Kinderkrankheiten zu entkommen, schützte ich bereits gegen acht Uhr Müdigkeit vor und ging in mein Zimmer. Tatsächlich schlief ich sofort ein. Aber keine zwei Stunden später wurde ich von einem Miauen geweckt. Einem Miauen, das ich eigentlich nicht gehört haben kann.
Ich folgte diesem Geräusch. Wusste, wo es herkam. Schließlich warteten wir schon seit Tagen auf die Niederkunft unserer Tigerkatze.
Unten war alles dunkel, keine Spur von der Kratzlerin. Ich machte Licht im Eselzimmer. Fünf winzige Knäuel schmiegten sich mit geschlossenen Augen an ihre Mutter. Der Esel, klüger als jedes Menschenkind, hatte sich in die hinterste Ecke verzogen, während ich sofort zu der vaterlosen Familie stürmte. Die sonst so zahme Tigerkatze fauchte, als ich mich vor ihr Lager kniete. Trotzdem streckte ich meine Hand aus, um die Neugeborenen zu streicheln. Schnell und fest rammte die Mutterkatze ihre Zähne in meinen Handrücken. Nicht aus Bösartigkeit, sondern um ihre Brut zu beschützen. In diesem Moment beschloss ich, Elsa zu holen.
Die Lampe in Elsas Zimmer brannte, aber sie war nicht da. Vorsichtig stieß ich das nur angelehnte Fenster auf und kletterte hinein. Ich widerstand dem Impuls, einfach ihren Namen zu rufen, überlegte kurz und schlich auf den Gang. Am Fuß der achtstufigen Steintreppe blieb ich stehen und lauschte. Oben lief der Fernseher. Mein Plan war schnell gefasst: hochschleichen. Eventuell auf allen vieren in die Nähe des Wohnzimmers robben und mir einen Überblick verschaffen. Sollte ich sie allein vorfinden, gäbe es keine Probleme. Sollten ein oder auch mehrere Gröhlers zugegen sein, würde ich versuchen, Elsa ein Zeichen zu geben. Nur erwischen lassen durfte ich mich nicht.
Oben angekommen, überdachte ich meine Strategie und entschied mich gegen das Kriechen und für die Zehenspitzen. Wohnzimmer, Esszimmer und Küche waren miteinander verbunden, ich stand im Eingangsbereich. Die Wohnzimmertür war offen. Ich drückte mich an der Wand entlang. Spähte hinein. Der Fernseher lärmte, keiner saß auf dem Sofa. Mein Herz raste, ich fühlte mich wie ein Einbrecher.
Flach atmend durchquerte ich den Raum und gelangte in das dunkle Esszimmer. Die letzte Pforte. Versteckt in der Finsternis, sah ich direkt in die hellerleuchtete Küche, sah direkt in die Hölle.
Elsa hockte auf der Anrichte. Ein weißer, aufgerissener Bademantel.
Vor ihr, mit dem Rücken zu mir, stand Gustav Gröhler. Die rechte Hand steckte in seiner Hose, die linke zwischen Elsas Beinen.
Den Kopf zur Seite gewendet, schaute das Mädchen in die Ferne. Untröstlich.
Warum tat ich nichts? Warum sagte ich nichts? Wie wäre die Geschichte wohl weitergegangen, wenn ich mich gerührt hätte?
Der Mann keuchte.
Elsa sah in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich. Ein Ruck ging durch meinen erstarrten Körper. Ich streckte den Arm aus. Es war nicht mehr als die hilflose Geste eines kleinen, fetten Jungen. Eine Zimmerlänge trennte meine Fingerspitzen
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