Elsas Küche: Roman (German Edition)
heftig mit ihnen schimpfte und sagte, sie sollten sofort verschwinden und nie mehr wiederkommen. Die Jungen stießen Flüche aus, und Elsa musste sie verjagen. Am Ende merkten sogar die Gäste, dass etwas nicht stimmte – weil der Kellner gereizt war oder das Essen zu wünschen übrig ließ: Eine wütende Hand hatte zu viel Salz in ein Huhn gerieben oder sich außerstande gezeigt, die Pfeffermenge zu kontrollieren, die in die Suppe rieselte. Ganz gleich, was es war, die Gäste warfen beim Essen besorgte Blicke über die Schulter und verließen danach schnell das Lokal.
»Eine Magenverstimmung ist unverzeihlich, oder?«, raunten die Gäste untereinander.
Elsas Leidenschaft hatte einen Dämpfer bekommen. Es gelang ihr nicht länger, ihre Niedergeschlagenheit zu verbergen. Sie lächelte ihre Gäste kaum noch an. Sie flatterte nicht mehr mit den Händen – konnte es nicht mehr. Ihr Versuch,sich eine störende Haarsträhne hinters Ohr zu streichen und dabei zu lächeln, missglückte. Die Gäste blickten sich um, sahen, dass die Spiegel nicht blank geputzt waren, und flüsterten miteinander.
»Vielleicht ist sie überarbeitet.«
»Ich glaub, sie wird alt. Hast du sie dir in letzter Zeit mal angesehen? Lass uns nächstens woanders hingehen. Paprikahuhn kann ich auch zu Hause essen.«
Und genau das taten sie. Einfach so. Schließlich war es nur ein Restaurant. Nach dreiundzwanzig Prozent Umsatzsteigerung stagnierten die Zahlen und fielen dann in den Keller. Selbst Elsas Herren kamen jetzt seltener. Der Wachtmeister mit dem Motorrad kam überhaupt nicht mehr, seit ein Kellner darauf bestanden hatte, dass er den Helm absetzte und die Waffe im Halfter ließ. Und er war vier Jahre lang mittags zum Essen gekommen! Der Professor für Geisteswissenschaften war der Nächste. Als ihm ein Kellner Thauerrahm statt Thauthe hollondaith brachte und sich dann nicht nur weigerte, den Fehler zu berichtigen, sondern sich über sein Lispeln lustig machte, war das Maß voll.
Elsa konzentrierte sich darauf, den Restaurantkritiker zu kontaktieren. Sie schleppte die völlig zerlesene Zeitschrift überall mit sich herum. Ihre ehemaligen Lehrer hatten sich als nützlich erwiesen: Sie hatten ihr versichert, sie hätten ihn so gut wie gefunden, und es sei nur noch eine Frage der Zeit.
»Nur noch ein paar Wochen«, erklärte der Fleischdozent. »Wir warten auf seinen Rückruf. Sie haben Glück – dieZeitschrift sucht nämlich jetzt Leser im Osten und will über Restaurants im neuen Europa schreiben.«
Elsa saß in ihrem Büro. Sie nickte und warf einen Blick in die Küche.
»Hervorragend«, sagte sie. »Ganz hervorragend.«
»Das ist Ihre große Chance. Ändern Sie nichts, dann wird alles gut«, fuhr der Fleischdozent fort. »Das Schweinefleisch verhilft Ihnen garantiert zum Sieg. Und die Nachspeisen sind ein Gedicht.«
Elsa lachte laut. Sie versuchte, überzeugend zu klingen. Sie wurde noch lauter – ihr Personal sollte hören, dass es ihr gut ging.
»Wir sind in Höchstform«, schrie sie ins Telefon. »Keinerlei Probleme. Er bekommt das beste Mahl seines Lebens.«
Dora knutschte jetzt in aller Offenheit mit dem Küchenchef. Elsa hätte die beiden am liebsten gefeuert, wusste aber, dass sie jetzt, da der Besuch des Kritikers bevorstand – wenn auf das Wort ihrer Lehrer Verlass war –, unmöglich auf sie verzichten konnte. Sie befand sich in einer kritischen Lage. Vielleicht später, wenn der Kritiker da gewesen war. Widerwillig musste sie zugeben, dass der Küchenchef recht gehabt hatte – zwei neue Chefköche einzuarbeiten, würde zu lange dauern. Sie konnten die neuen Rezepte nicht so schnell lernen. Sie verfluchte sich dafür, dass sie das tägliche Kochen aufgegeben hatte. Sie jammerte darüber, dass sie den Küchenchef mit so vielen Aufgaben betraut hatte. Zwar konnte sie in der Küche aushelfen, aber sie wusste, dass sie inzwischen ein Team waren,das ohne sie funktionierte. Ihr Einsatz würde nur die Gruppendynamik stören.
Elsa verließ ihr Büro und ging zu Doras Arbeitsplatz, um einen Stapel Crêpes zu begutachten, die über Dampf heiß gemacht wurden. Dora streute Puderzucker über die Crêpes, die aufgerollt auf einer Platte lagen und einen süßen Duft verströmten. Die beiden Frauen lächelten sich an, hätten sich aber ebenso gut die Augen auskratzen können.
Elsa verstand das Ganze nicht. Als sie Dora einstellte, hatte sie sich ausgemalt, sie könnten wie Schwestern werden. Sie wollte ihre Mentorin sein. Sie
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