Elsas Küche: Roman (German Edition)
Es war Hühnerfett, das aus einer Pfanne geschwappt war. Jemand hatte sie zum Abwasch getragen und dabei nicht aufgepasst. Das Schlimmste an diesem Sturz war: Niemand hatte überhaupt mitbekommen, dass sie gestürzt war. Sie war unsichtbar in ihrer eigenen Küche. Die Köche schwatzten und rauchten hinten in der Ecke miteinander. Der Küchenchef sprach immer noch, über die Kirschen gebeugt, leise mit Dora, und der Tellerwäscher stand mit dem Rücken zu ihr und faltete Servietten.
Als sie so auf dem schmutzigen Küchenboden ihres Restaurants saß, mit ihren achtundvierzig Jahren, mutterseelenallein,ohne jemanden, der sich dafür interessiert hätte, ob sie Erfolg hatte oder scheiterte, am Leben war oder tot, Geld auf dem Konto hatte oder nicht, überkam Elsa eine rasende Wut. Sie stand ruhig auf und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. Sie ging in die Mitte der Küche. Und wenn ich allen Feuer unterm Hintern machen muss: Es ist mein Restaurant, und ich halt, es bereit.
Genau in diesem Augenblick sträubten sich Doras Nackenhaare. Dora zitterte, als sie und der Küchenchef den Topf mit den dampfenden, gezuckerten Kirschen abstellten. Sie wandte sich um und erblickte Elsa, die mit verzogenem Mund, perplexem Gesicht und statuenhaft erhobener Hand mitten in der Küche stand. Sie war knallrot. Doras sechster Sinn sagte ihr, dass nur noch die Rauchschwaden fehlten, die bald aus ihren Ohren aufsteigen würden. Elsa sah aus wie eine Kaffeekanne, die auf einer Herdplatte steht und im nächsten Augenblick explodiert. Haargenau so.
Auch wenn das arme Mädchen eine gute Chefkonditorin war, war sie dem aufziehenden Gewitter doch nicht gewachsen. Ebenso gut hätte sie ein Windbeutel auf stürmischer See sein können oder ein russisches Ei, das man vor eine Dampfwalze geworfen hatte.
»Geh mir aus den Augen!«, schrie Elsa sie an und zeigte auf den Ausgang. »Raus hier! Und zwar sofort!«
Dora versuchte, sich hinter dem Küchenchef zu verstecken. Es gelang ihr so gut, dass nur noch die Nase und ihre rauchigen Augen hervorlugten, mit denen sie für einen Moment ganz wie ein ängstlicher Waschbär aussah.
Die Köche hörten Elsa und spähten herein. Sie entdeckten den Fettfleck auf Elsas Arbeitsmontur, erfassten sofort die Situation, drückten schnell ihre Zigaretten aus und kamenzurück in die Küche. Sie machten die Seitentür hinter sich zu. Als der Tellerwäscher das Gebrüll hörte, ließ er eine Serviette fallen und griff instinktiv nach einem Messer. Er drehte sich um die eigene Achse und ging in die Hocke, einsatzbereit – willens, den vermeintlichen Eindringling unschädlich zu machen.
Draußen im Restaurant hörte der Oberkellner das Gebrüll, versuchte aber, nicht weiter darauf zu achten. Er lächelte den Gästen zu und den anderen Kellnern und bot ein Glas Wein an. Auch die Gäste hörten das Gebrüll. Viele von ihnen kauten oder schluckten gerade oder führten die Gabel zum Mund. Alle hielten sie inne. Der Postinspektor zog eine Augenbraue hoch und stand auf. Er lugte durch die Türen, um zu sehen, was in der Küche los war. Er sah zum Wachtmeister mit dem Motorrad hinüber – der nun ohne Helm und mit der Pistole im Halfter wieder in der Tulpe speiste, seit ihm klar geworden war, dass man nirgendwo anders so gut zu Mittag aß. Als einzige Beamten in Uniform und damit Vertreter der Staatsgewalt standen die beiden auf und begaben sich zur Küchentür.
Der Oberkellner rannte voraus. Er wusste, wie unaufgeräumt die Küche war, und wollte nicht, dass die Gäste es sahen.
»Alles ist in Ordnung«, sagte er und rollte die Augen. »In bester Ordnung. Sie zanken sich nur ein bisschen. Ein kleiner Zank mit der Küchenchefin. Kulinarische Meinungsverschiedenheit, wissen Sie! So sind Künstler nun mal.«
»Das war Elsas Gebrüll«, sagte der Postinspektor. »Ich hab ihre Stimme erkannt.«
»Ich auch«, sagte der Wachtmeister mit dem Motorrad und nickte den anderen Gästen zu. »Ich hab ihre Stimme auch erkannt. Und ich hab sie als Erster gehört.«
Der Oberkellner schüttelte den Kopf. »Meine Herren, alles ist in bester Ordnung. Bitte essen Sie weiter, bevor alles kalt wird.«
Er musste den Männern noch ein bisschen gut zureden und kostenlosen Nachtisch versprechen, bis sie wieder Platz nahmen. Sie setzten sich mit ihren Tellern an einen größeren Tisch zu ein paar anderen Gästen und stellten sich vor.
Währenddessen blickten in der Küche alle auf Elsa, und die gesamte Küchenbrigade fragte sich, was
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