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Elsas Küche: Roman (German Edition)

Elsas Küche: Roman (German Edition)

Titel: Elsas Küche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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nicht mehr die Hand nach einem Gefährten aus, den es nicht gab. Sie schlief ruhig. Am nächsten Tag ging sie ins Thermalbad und gönnte sich ein heißes Badund eine Massage. Als sie am selben Abend ins Restaurant zurückkam, war die Küche sauber, und ihre Küchenbrigade stand stramm. Zum ersten Mal nach zwei Jahren kochte sie wieder selbst. Wie damals, als sie den Küchenchef eingestellt hatte, bereitete sie die Gerichte gemeinsam mit ihm zu. Sie rief nach Zutaten oder Beilagen, und der Küchenchef stand zu Diensten und reichte ihr das Gewünschte. Einmal trafen sich ihre Blicke, und Elsa erinnerte sich unweigerlich daran, dass so ihre Affäre begonnen hatte. An einem Abend wie diesem, als sie miteinander harmonierten. Elsa wollte nicht, dass er dachte, sie würde jetzt daran denken, deshalb sah sie weg und nahm die vor ihr stehenden Pfannen ins Visier. Die Bestellungen wurden im Nu serviert, und die Gäste, die an dem Abend gekommen waren, erzählten ihren Freunden, wie gut das Essen gewesen sei und dass das Restaurant sich eindeutig wieder gefangen habe. Mehrere Gäste verlangten, Elsa zu sehen, doch sie wollte nicht und kochte weiter. Das Kochen machte ihr enormen Spaß. Schließlich kochte sie sehr gerne. Sie hatte zu viel zu tun und konnte ihre Zeit nicht mit sinnlosen Neckereien und hohlem Geschwätz verschwenden. Stattdessen schickte sie den Küchenchef. Er nickte verständnisvoll, setzte eine Kochmütze auf und eilte so schnell ins Restaurant, dass er beinahe hingefallen wäre. Er präsentierte sich stolz an allen Tischen und dankte den Gästen, so gut er konnte, indem er jedem Einzelnen auf den Rücken klopfte und die Hand schüttelte. Er sprach überlaut. Bei Gott, genau so würde er es in seinem eigenen Restaurant machen, beschloss er und erzählte den Gästen leise von dem Bistro, das er in der Nähe eröffnen wollte.
    »In ungefähr einem Monat«, sagte er und schielte kurz nach der Küchentür, um zu sehen, ob Elsa vielleicht denKopf herausstreckte. »Halten Sie die Augen offen. Das Lokal, das ich zusammen mit meiner Verlobten eröffnen werde, heißt Die drei Rosen .«
    Das war vielleicht eine Neuigkeit! Die Gäste gratulierten ihm. Sie bestellten noch ein Glas und noch mehr Nachtisch und prosteten auf ihn wie bei einer Verlobungsfeier. Der Küchenchef strahlte und erzählte auch den übrigen Gästen von seinem neuen, modernen Bistro. Für alle in der Tulpe wurde es ein schöner, erfüllter Abend – einer der besten, an den sich die Gäste erinnern konnten.

VI
    W as den Kritiker anging, den man so schwer zu fassen bekam, so war er höchst verärgert über die beiden Männer, die ihn nicht die Bohne interessierten, ihm aber die letzten sechs Wochen durch ganz Europa hinterhergejagt waren. Hinterhergejagt! Und das, obwohl er gerade die schlimmste Zeit seines Lebens durchmachte.
    Früher wäre er sie wahrscheinlich sehr schnell losgeworden, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Doch momentan war er mit einer Reihe verheerender Schicksalsschläge konfrontiert, die ihn erniedrigten und mit denen er rang. Herzzerreißendes hatte sich zugetragen und so viel Verzweiflung und Schmutz in ihm aufgewühlt, dass er nicht genau wusste, ob er sich je davon erholen würde. Er war bis ins Mark erschüttert – seine ganze Persönlichkeit war in Mitleidenschaft gezogen. Er stand vor einem Abgrund, nahm sein Leben unter die Lupe, zog Bilanz und stellte jede wichtige Entscheidung infrage, die er bisher getroffen hatte. Sogar Wert und Bedeutung seines geliebten Berufs stellte er jetzt infrage: War das Schreiben von Restaurantkritiken wirklich ein ästhetisches Unterfangen, wie er die letzten fünfzehn Jahre behauptet hatte, oder verbargen sich nur Gefräßigkeit und die Gier nach Prestige dahinter, die seinen bescheidenen Familienverhältnissenund seinem geringen Selbstwertgefühl geschuldet waren?
    Denn dies war der Schluss, zu dem er gekommen war. Er kam zu dem Ergebnis, dass es vor allem darum ging, anderen gegenüber großzügig zu sein. Was nicht leicht war, wie er feststellte. Aber was blieb, wenn er nicht großzügig war? Wer würde ihm eine Träne nachweinen, wenn er tot war? Wer würde zu seiner Beerdigung kommen?
    Dass zwei seltsame Männer ihn fortwährend anriefen und ihn mit irgendeinem obskuren Restaurant und dessen ambitionierter Küchenchefin behelligten, war zu diesem Zeitpunkt ganz unerheblich. Zum Teufel mit ambitionierten Küchenchefs!, dachte er. Zum Teufel mit Ambitionen! All das ist krank.

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