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Elsas Küche: Roman (German Edition)

Elsas Küche: Roman (German Edition)

Titel: Elsas Küche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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eine ganze Bande auf – wütende Zigeuner mit glühenden Augen und blinkenden Goldzähnen, von denen drei Schinto-Schwerter aus dem 17. Jahrhundert bei sich hatten. Sie ließen sie durch die Luft sausen, wobei die Klingen laute Pfeifgeräusche machten. Die Skinheads waren schockiert, und was dann folgte, war keine Rauferei, sondern das Werk eines rettenden, heimtückischen Romagottes. Man sah nur undeutlich, was geschah, und allein das wütende Gebrüll und die Schmerzensschreie bekundeten, dass es sich um Menschen handelte. In sechzig Sekunden sei alles vorbei gewesen, sagten Augenzeugen, denen es gelungen war, dem Zorn der Zigeuner zu entkommen – denn für die Roma war jeder im Biergarten Freiwild. In sechzig Sekunden! Das Ergebnis waren ausgeschlagene Zähne, die als Beute behalten wurden, ausgestochene Augen, zu Brei geschlagene Gesichter, bis zur Unkenntlichkeit entstellte Männer und ein gespaltener Finger. Außerdem fehlten alle Bierfässchen, samt vier teuren mit tschechischem Pils – ein Vergeltungsakt gegenüber dem Biergartenbesitzer, der die Rowdys in seinem Lokal bedient und die Frauen und Kinder, die draußen bettelten,immer gemein behandelt hatte. Bevor die Polizei kam, waren die Zigeuner verschwunden; die Skinheads verließen danach die Stadt und zogen in ein Dorf in der Nähe.
    An diesen Vorfall mussten die Jungen denken, als sie von Elsas Restaurant nach Hause liefen. In ihrem Fall war das Problem einzig und allein, dass sie nicht die kostbare Tochter von jemandem waren. Sie waren nicht mit dem Boss oder seinen Töchtern verwandt. Sie waren nur drei dreckige Cousins, die im Zentrum und am Bahnhof Münzen und Zigarettenstummel sammelten. Die Roma würden sich vielleicht aufregen – oder auch nicht. Wie dem auch sei, niemand würde mit einem Rohr in der Hand an Elsas Tür klopfen und mit einem Samuraischwert schon gar nicht.
    Elsas Wutausbruch hatte sie überrascht und beleidigt; da sie normalerweise zu den Netteren gehörte, die ihnen unterwegs begegneten, konnten sie sich auf die ganze Sache keinen Reim machen.
    Draußen war es dunkel, doch die Innenstadt war von den Straßenlampen und Autos hell erleuchtet. Der abendliche Lärm aus den Bars und Restaurants drang zu ihnen herüber. Dann und wann blieben sie stehen und wischten ihrem verletzten Cousin mit dem Finger oder Ärmel das Blut aus den Augen. Sie drückten sich an den Passanten vorbei, die ihnen zwar kurze Blicke zuwarfen, sie aber weder anhielten noch ansprachen.
    »Pisti? Pisti? Atmest du noch? Atme weiter, unbedingt. Glaubst du, du stirbst?«
    »Nee, ich sterb nicht.«
    »Wie willst du das wissen? Boxer sterben die ganze Zeit und wissen es auch nicht.«
    Pisti blieb stehen und kniff sich. Offenbar war er mit dem, was er spürte, zufrieden und zuckte die Schultern.
    »Hat die Restaurantmadam schon mal versucht, uns umzubringen?«, fragte er.
    »Ich glaub nicht«, sagte der älteste Cousin. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Sie war wütend auf den Dicken«, sagte der andere.
    »Echt?« Pisti wischte sich die Stirn ab.
    »Na klar. Er ist dran schuld, und wir kommen jetzt zu Hause in Teufels Küche.«
    Die Cousins dachten über ihr Dilemma nach. Die beiden älteren Jungen blieben stehen und setzten Pisti vorsichtig vor einer Mauer ab. Sie suchten den Gehsteig nach Zigarettenkippen ab.
    »Jedenfalls kriegen wir Ärger, wenn wir nicht bald nach Hause kommen«, sagte Pisti, der auf dem Boden saß. »Wir sind spät dran.«
    Da die Jungen keine verwertbaren Zigarettenkippen fanden, pflichteten sie Pisti bei und hievten ihn wieder hoch. Sie unternahmen eine letzte Anstrengung, um nach Hause zu gelangen, und als sie angekommen waren, stießen sie das Lattentor auf und trotteten in den Hof. Aus der Küche drangen die Stimmen ihrer Mütter. Die Frauen stritten. Die Jungen gingen zögernd die Treppe hinauf, bis zur offenen Tür. Es roch nach gekochtem Rindfleisch, und der Duft lockte sie zur Türschwelle. Ihre Mütter machten Gulasch und hatten ein paar Rindfleischstücke mit Zwiebeln, klein geschnittenen Karotten, Kartoffeln und Kümmel in einen Topf geworfen. Das Aroma ließ die Jungen auf der Treppe erstarren. Sie rochen das Essen, und ihre Mägen knurrten, doch sie rührten sich nicht von der Stelle. Wieder fortzugehen war unerträglich, und in die Küche zu gehen wagten sie nicht. Ihre Mütter waren offen gestanden furchterregend – korpulent und aggressiv. Sie hatten laute Stimmen,fleischige Handflächen und Wurstfinger, die die Jungen nur zu

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