Elsas Küche: Roman (German Edition)
machen sollten.
»Zigeuner hin oder her«, schimpfte eine ältere Frau mit Elsa, »mit Kindern sollten Sie sorgsamer umgehen. BehandelnSie sie so, wie Sie Ihre eigenen behandelt haben wollen. Was wäre, wenn jemand so was mit Ihren Kindern macht?«
Elsa nickte. »Ja, ja, natürlich.«
»Ungeheuerliches Benehmen. Nicht zu entschuldigen.«
Elsa pflichtete ihr bei. »Es tut mir leid. Es war ein Unfall – ein schrecklicher Unfall. Aber wissen Sie, es geht ihnen ja wieder gut.«
»So was wirft ein schlechtes Licht auf uns«, sagte ein anderer Passant. »Wir haben hier Touristen, wissen Sie. Sie können nicht einfach rumlaufen und Kinder schlagen. Schließlich sind wir hier in Europa!«
Elsa nickte. Es war jedoch klar, dass sie nichts weiter tun konnten. Die Kinder waren fort, und der Wachtmeister schien nicht daran interessiert, deswegen ein großes Theater zu machen. Die Passanten gingen schließlich leise murrend davon und drehten sich ab und zu nach Elsa um. Sie spürte ihr Gesicht heiß werden. Sie war verlegen, und ihr tat das Kind leid. Gleichzeitig war sie auch froh, dass sie weggelaufen waren. Wenn sie morgen vorbeikamen, würde sie ihnen etwas zu essen geben, beschloss sie. Vielleicht auch Geld. Vielleicht würde sie ihnen kleine Jobs anbieten: Sie konnten im Restaurant mithelfen. Sie wollte zeigen, dass sie ihnen nicht böse war, dass es nur ein Unfall war. Wenn sie das Blumenmädchen später sah, würde sie es ansprechen. Sie trat in die Gaststube, ging an den Gästen vorbei, die sie vorwurfsvoll anblickten, und fragte sich, wie sie verhindern sollte, dass alles um sie herum zusammenbrach.
Zweites Buch
X
E s war schon öfter vorgekommen, dass die Jungen mit Verletzungen nach Hause kamen. Auf ihren Streifzügen durch Délibáb – zum Bahnhof, um Geld zu schnorren, oder als blinde Passagiere in der Straßenbahn, um Münzen zu finden – hatten sie mit den Jahren viele Unfälle erlitten. Genau genommen waren es unzählige Schrammen und Prellungen gewesen, und unzählige Haarbüschel und Hautfetzen waren in verschiedenen Ecken der Stadt geopfert worden. Jeder der Jungen wusste trotz seiner jungen Jahre von zwei oder drei Begebenheiten zu berichten, über die zu sprechen sich lohnte und die sie in ihrem Viertel immer wieder zum Besten gaben. Sie trugen ihre gesammelten Verletzungen wie Orden und zeigten darauf, wenn sie andere Kinder trafen, um ihre Weisheit und Dominanz geltend zu machen.
Eine Geschichte beispielsweise, die der älteste Junge gern erzählte, reichte ein paar Jahre zurück, als sie sich in einen Zirkus geschlichen hatten, der seine Zelte am Stadtrand aufgeschlagen hatte, gleich hinter dem Polenmarkt, wo man gefälschte Markenartikel kaufen und Geld tauschen konnte. Der Zirkus war hochprofessionell – ein staatlich gefördertes Unternehmen aus dem Westen – und hatte tanzende Elefanten, jonglierende Äthiopier, mürrische Clowns, dieherummarschierten, ohne zu jonglieren oder kunterbunte, flatternde Taschentücher aus irgendwelchen Öffnungen zu ziehen. Stattdessen schienen sie voller Verachtung und benahmen sich, als seien sie beleidigt, weil sie in der Pampa auftreten mussten. Dieser Zirkus ließ sich nicht mit den verstaubten, schlampigen Zirkussen vergleichen, die die Jungen bisher gesehen hatten, und schon gar nicht mit dem einzigen Zirkus, in dem sie je waren, wo ein räudiger, zahnloser Bär durch Reifen tapste, wenn er einen Tritt bekam.
Dieser Zirkus war etwas ganz anderes. Die großen Zelte waren aus Vinyl, das die ganzen zwei Wochen über schön weiß und sauber blieb – als wäre in dem flachen Land ein Zauberreich entstanden. Die Zelte wurden abends geheizt, es gab Schallplattenmusik und Generatoren und ein Aufgebot an Sicherheitspersonal, wie die Jungen es noch nie gesehen hatten – Männer mit kurzen Haaren, Walkie-Talkies und Sonnenbrillen. Männer, die ihre Arbeit im Zirkus ernst nahmen, auf dem Gelände auf und ab gingen und nach Kindern wie ihnen Ausschau hielten, die Ärger machen konnten. Sie sprachen verschiedene Sprachen und waren gebaut wie Berufsboxer.
»So viele!«, staunte der älteste Junge, während er die Sicherheitsleute zählte und das Zirkuszelt inspizierte. »Seht nur! Mehr Sicherheit als Elefanten!«
Die Jungen ließen sich davon nicht abschrecken. Auf der Suche nach einem Durchschlupf liefen sie zweimal um das Zirkusgelände herum. Nach einer halben Stunde hatten sie sich einen Plan zurechtgelegt: In der Nähe der Tiergehege fanden sie ein ruhiges
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