Elsas Küche: Roman (German Edition)
Anfall bekommen, und wir mussten ihn ins Krankenhaus bringen. Sehen Sie mal.«
Als Elsa die Fotos gereicht bekam, zuckte sie zusammen. Auf dem ersten Bild war Pisti zu sehen, schlafend oder bewusstlos. Er hatte eine hässliche klaffende Wunde auf derStirn und sah grün aus. Fast hätte Elsa geweint. Mit zitternden Händen nahm sie das zweite Bild in die Hand. Es zeigte eine Frau, die Pisti mit einem Löffel fütterte. Elsa ging alle Fotos durch. Auf allen sah man Pisti und seine Cousins, und die ganze Familie saß um ihn herum.
»Es ging ihm sehr schlecht«, sagte sein Onkel.
Elsa wischte sich eine Träne weg und gab die Fotos zurück.
»Es war ein Unfall«, sagte sie. »Nie würde ich ein Kind so schlagen, glauben Sie mir.«
Der kleinere Onkel nickte. Der Maibaum grinste sie höhnisch an.
»Hören Sie, wir wissen, dass es ein Unfall war«, sagte der Onkel. »Pistis Cousin hat uns alles erzählt. Für den Mist, den sie gemacht haben, haben wir sie verhauen.«
Die beiden anderen Jungen taten ihr leid.
»Kann ich ihm denn irgendwie helfen?«
Der Onkel machte Anstalten, etwas zu sagen, schwieg dann aber und sah den Maibaum an.
»Was ist denn?«, fragte Elsa. »Geht es um Geld? Brauchen Sie Geld?«
Die beiden Onkel zogen die Augenbrauen hoch.
»Tja, also, es ist mir peinlich, darum zu bitten«, sagte der Dicke. »Sie haben ja dem Ladenbesitzer schon Geld gegeben, und wir wissen, dass er Sie verprügelt hat. Mein Bruder hat mit ihm geredet. Es ist mir peinlich, noch mehr zu verlangen. Aber die Hin- und Herfahrerei zwischen dem Krankenhaus und meinem Dorf, die ganze Verpflegung und das Geld, das wir den Ärzten zustecken müssen, können wir uns offen gestanden nicht leisten. Sie wissen ja, dass wir Zigeuner sind. Wenn wir im Krankenhaus kein Schmiergeld bezahlen, behandeln sie Pisti nicht. Jeweils3000 Forint für die Zugfahrkarte der Tanten, 3000 pro Woche für Essen, und jedes Mal 10000 für den Arzt. Das läppert sich, Fräulein.«
Elsa hatte kein Geld dabei, und was sie auf dem Konto hatte, brauchte sie, um ihr Restaurant wieder in Schwung zu bringen. Doch sie hatte eine Idee und schloss die Tür auf.
»Kommen Sie rein«, sagte sie.
Die beiden Männer traten ein. Sie machte die Tür hinter ihnen zu und ging zu der Wand, an der die silbernen Hohlspiegel hingen – seit Jahren. Es waren sechs Stück, und sie erinnerte sich, dass sie vor sieben Jahren viel Geld dafür bezahlt hatte. Sie nahm zwei Spiegel von der Wand, und da sie unhandlich waren, half ihr der Maibaum dabei.
»Tut mir leid, aber das ist alles, was ich momentan entbehren kann. Finden Sie doch heraus, wie viel Sie dafür bekommen. Falls Sie die anderen auch noch brauchen, kommen Sie morgen früh vorbei, bevor das Restaurant aufmacht. Das ist vielleicht eine kleine Hilfe.«
Der kleine dicke Onkel war außer sich vor Dankbarkeit und blickte voller Verbundenheit zu Elsa.
»Wollen Sie die uns wirklich geben, Fräulein?«, fragte er. »Sie sehen teuer aus.«
Elsa wedelte mit der Hand.
»Nehmen Sie sie«, sagte sie. »Kann ich Pisti besuchen kommen?«
Der Kleine sah den Maibaum an, der tief seufzte und den Kopf schüttelte.
»Die Frauen würden das nicht so gerne sehen. Sie wollten dauernd, dass wir die Polizei einschalten. Aber Sie können sich sicher denken, dass wir die Polizei nicht sehr mögen.«
Elsa öffnete ihr Portemonnaie und fand einen 2000-Forint-Schein.
»Das kann ich verstehen«, sagte sie und gab ihnen das Geld. »Nehmen Sie das ruhig auch noch! Die Spiegel sind mindestens 8000 pro Stück wert. Vielleicht sogar mehr.«
Der kleine Onkel zeigte überschwängliche Dankbarkeit. Der große verzog keine Miene. Elsa schüttelte ihnen die Hand und bekräftigte ihr Angebot, dass sie die anderen Spiegel bei Bedarf am nächsten Morgen abholen konnten.
»Wir kommen sicher vorbei. Wir können sie auf alle Fälle gebrauchen. Vielen herzlichen Dank!«
»Sagen Sie Pisti bitte, dass es mir leidtut«, sagte Elsa. »Sagen Sie ihm bitte, er soll schnell gesund werden, und dass ich hoffe, bald Nachricht von ihm zu bekommen.«
Der dicke Onkel nickte ihr zu.
»Sobald es ihm besser geht«, sagte er.
XV
A m nächsten Morgen nahm Elsa die Spiegel ab, die noch an der Wand hingen. Sie wollte sie sauber machen, damit die Männer sie gegebenenfalls mitnehmen konnten. Zwar war sie erleichtert, dass sich das Verschwinden der Familie geklärt hatte, hatte aber inzwischen entschieden, dass sie ihnen keinesfalls mehr Zeit widmen wollte als unbedingt
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