Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
direkt auf das bereitstehende Gemälde. „Dort steht das fertige Bild. Der Firnis ist noch etwas frisch, aus dem Grund sollte man es nicht...“
Doch Frau Neuberg ließ ihn nicht zu Ende reden. „Oh“, entfuhr es ihr. Und dieser Ton klang nicht eben erfreut.
„Ist etwas nicht...?“ begann Jesco, wurde aber gleich darauf abermals unterbrochen.
„ Was für ein Affront! “ rief Frau Neuberg aus und ihre Stimme rutschte dabei einige Tonlagen höher. Aus dem von Natur aus herben Klang wurde plötzlich gallige Bitterkeit.
„ Wie bitte?“ fragte Jesco, den Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. Auf der Stirn der Dame vertiefte sich die bereits im Bilde von Tadeya bewunderte, steile Falte zwischen den Augenbrauen. „Dieses alte Weib dort,“, herrschte sie ihn an, „ bin nicht ich! “
Jesco schüttelte beharrlich den Kopf. „Frau Neuberg, ich habe nach der Natur gemalt.“ Natürlich besaß diese Antwort nicht eben eine besänftigende Wirkung, obwohl Tadeya sich sicher war, dass sie auf purer Unschuld gründete. Und er hatte Recht: Dieses Bild glich der Wirklichkeit wie ein Spiegelbild. Frau Neuberg schnappte hörbar nach Luft. Sie wandte sich mit einer Geschwindigkeit, die man ihrem schweren Körper gar nicht zugetraut hätte, zu ihrem Begleiter um.
„Solch eine Unverschämtheit ist mir noch nie vorgekommen! Edward, Sie sind hiermit mein Zeuge! Dieses Bild stellt einen Affront dar!“
Der Angesprochene nahm eine geduckte Haltung ein, den Blick fest auf die Erde gerichtet. Sein eifriges Nicken zeigte eher Unterwürfigkeit als ehrliche Zustimmung. Doch Frau Neuberg schien diesen Umstand nicht zu bemerken, denn hochmütig fixierte sie nun Jesco. „Ich habe einmal viel von Ihnen gehalten, Herr Fey“, erklärte sie ihm voll Bitterkeit. „Aber nun muss ich meine Ansichten über Sie als Mensch und Künstler korrigieren: Sie sind ein Dilettant und Sie besitzen keinerlei Respekt !“
Jesco klang erstaunlich ruhig, als er erwiderte: „Frau Neuberg, niemals lag es in meiner Absicht, Sie zu kränken.“ Nur Tadeya sah den Sturm in Jescos Augen hinter der gefassten Fassade.
Frau Neuberg ließ sich erwartungsgemäß durch seine Worte nicht besänftigen. „Diese böswillige Karikatur werde ich nicht bezahlen! Von Rechts wegen sind Sie mir Geld schuldig, weil ich meine Zeit damit vergeudet habe, Ihnen Modell zu sitzen! Sie Stümper !“
Die letzten beiden Worte stieß die Dame zwischen zusammengepressten Lippen hervor, sodass sie wie ein zorniger Fluch klangen. Dann winkte sie ihrem Begleiter mit harter Geste, ihr zur Tür hinaus zu folgen. Tadeyas Blick blieb kurz auf Jescos Gesicht haften, als der eifrige Diener hastig die Tür hinter der davoneilenden Dame zuschlug. Dann lief Tadeya den beiden hinterher und stürmte die Treppe hinunter auf die Straße. Frau Neuberg war gerade dabei, sich von ihrem Diener in die vor der Tür stehende Kutsche helfen zu lassen, als Tadeya sie erreichte.
„Hören Sie, Frau Neuberg“, sagte Tadeya zu der Dame, die mit einem skeptischen Stirnrunzeln in ihrer Bewegung innehielt. „Der Maler hat seinen Auftrag mit Bravour erfüllt. Sie sind ihm die Bezahlung schuldig. Und wenn Ihnen das Bild nicht gefällt, dann werfen Sie doch bitte einen Blick in den Spiegel. Ihr Auftrag an den Maler war ein realistisches Porträt – und das haben Sie erhalten!“
Mit energischer Geste wischte die Dame Tadeyas Worte fort. Nicht einmal zu einer Antwort fühlte sie sich bemüßigt, sondern nur zu einem herablassenden Blick und der spitzen Bemerkung: „Sie sind doch die Enkelin von dieser Zigeunerhexe. Von solch einem Pack muss ich mir nun wirklich nichts sagen lassen!"
Tadeyas Haltung straffte sich. Ihr Inneres, eben noch voll heißer Erregung, erkaltete schlagartig. Ein kühler Fluss klarer Gedanken blieb übrig, der innerhalb der Zeit eines Lidschlags eine Entscheidung hervorbrachte. Sie hob die Hand nur wenige Zentimeter der empörten Dame entgegen. Und drei leise Worte kamen über ihre Lippen. Mehr bedurfte es nicht.
Tadeya machte auf dem Absatz kehrt und überließ Frau Neuberg ihrem Schicksal.
------- HEINRICH NEUBERG -------
Es kostete einige Überwindung, dieses Haus zu betreten. Bevor er einen ersten Schritt auf die Eingangstreppe setzte, warf er einen Blick über die Schulter. Keine Bekannten, die ihn hierbei beobachteten?
Die Straße war leer. Es handelte sich ohnehin nicht gerade um eine belebte Gegend. Stadtrandgebiet, spärlich bebaut. Hier
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