Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Stattdessen stieg ein alter, ihm seit vielen Jahren nicht mehr bekannter Impuls in ihm hoch: Sich mit beiden Händen die Ohren zuzuhalten, wie er es zuletzt als sehr kleiner Junge getan hatte. Doch diesem Impuls wäre er auch dann nicht nachgegangen, wenn seine Hände frei dafür gewesen wären.
Die Ohren waren nicht das einzige seiner Sinnesorgane, mit denen er diesen Todeskampf wahrnahm. Ein Geruch von Blut, Schweiß und Angst umgab ihn wie Nebel, auch dem konnte er sich nur zu einem unzureichenden Teil entziehen. Unleugbar war ihm das qualvolle Sterben von Mensch oder Tier nicht fremd; es hatte sogar Zeiten in seinem Leben gegeben, als dies zu einer Art täglicher Routine gehörte. Doch diejenigen Situationen, in denen das Ringen eines lebendigen Wesens mit dem Tod ihn derart stark hatte berühren konnten, waren äußerst rar und nun schon so lange vergangen, dass er dem Glauben und sogar dem Wunsch anheimgefallen war, sie kämen in seinem Leben nie wieder vor.
Als endlich der zweite Schuss fiel, kippte der schwere Körper des Tieres deutlich hörbar zur Seite, dem Maul entrang sich ein Geräusch, das wie ein erstickter Schrei anmutete. Die folgenden Geräusche waren sehr viel leiser und gingen beinah in dem allgemeinen Lärm, den die anderen Pferde in ihren Boxen verursachten, unter. Das sterbende Tier schien noch zu zucken, denn es klang, als schabten seine Beine über den Boden, begleitet von gequältem Keuchen. Erst nach einigen unermesslich langen Minuten entwich endgültig die Luft aus den Lungen des Tieres und die Geräusche des Kampfes verstummten.
Robert beschloss, dass es an der Zeit war, aufzustehen. Er war im Begriff, sich vom Boden hoch zu stemmen, als jemand ihn sogleich wieder zurück auf die Erde drückte. Dann pressten sich plötzlich zwei Hände links und rechts auf seine Schläfen. Im selben Moment wurde ihm klar, dass er sich das Ziel, wieder auf die Beine zu kommen, vorerst aus dem Kopf schlagen musste. Elmor verfolgte mit diesem ganzen Theater hauptsächlich ein für ihn sehr bedeutungsvolles Ziel: Informationen über Tadeyas Verbleib zu erhalten. Und da Robert ihm die gewünschten Informationen niemals freiwillig preisgeben würde, wollte er sie sich nun gewaltsam holen, zu einem Zeitpunkt, an dem sein vermeintlicher Informant möglichst mit anderen Dingen beschäftigt war, als die Deckung zu halten.
Und der Priester behielt Recht mit seinen Überlegungen: Robert fand tatsächlich keine Deckung gegen diesen jähen Angriff. Aber er wusste sich anderweitig zu helfen gegen den Eindringling, der da mit aller Kraft in sein Gehirn drang. Die heiße Energie in Roberts Inneren war noch längst nicht versiegt, doch sie nach außen zu richten war gemäß der Sachlage, wie er bereits erlebt hatte, nicht effektiv. So lenkte er alles, was in ihm tobte, direkt auf den Angriffspunkt, in seinen eigenen Kopf. Er wusste nicht, was geschehen würde, er hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Ihm war nur bewusst, dass diese in ihm aufgestaute Energie in geballter Kraft ebenso zerstörerisch wie eine gewaltige Ladung Sprengstoff war.
8. Aufbruch
------- ELISA SLEYVORN -------
Elmor beorderte sie gleich am Tag nach ihrer letzten Begegnung zu sich. Man ließ ihr ausrichten, dass es nun an der Zeit sei, ihr zweites Versprechen einzulösen und ihm für eine Weile zu folgen. Sie steckte das Buch mit Elmors Aufzeichnungen ein, bevor sie gemeinsam mit einem ihr fremden Diener des Priesters den Weg zu dem bereits bekannten verlassenen Haus einschlug. Es schien ihr zwar ganz und gar verrückt, gerade dieses Buch direkt in die Höhle des alten Katers zu bringen, doch folgte sie damit einer vertrauten inneren Stimme, die sie auch in der Vergangenheit stets untrüglich gut geleitet hatte.
Diesmal wurde Elisa direkt in einen der oberen, leer stehenden Räume des Hauses geführt, wo Elmor sie erwartete. Sie erfuhr von ihm, dass sie dabei sein sollte, wenn er sich auf den Weg zu Tadeya machte. Er schien recht genau zu wissen, wo Elisas Enkelin sich befand und sprach von einer "längeren Reise". Wenn der durch Elisas unkluges Verhalten angerichtete Schaden vollständig behoben sei, dann erst wäre es an der Zeit für ein Wiedersehen mit Asno.
"Bevor wir gehen", sagte Elisa, "möchte ich mit Robert reden."
Sie hatte über dieses Ansinnen nicht nachgedacht. Die Worte kamen einfach aus ihr heraus, in festem, fordernden Ton.
"Elisa, ich muss dich warnen", gab Elmor zurück. "Wenn du es auch nicht
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