Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
bitten, mir zu antworten, wenn du mich hören kannst."
Es kam keine Regung von ihm.
Sie streckte die Hand aus, legte, nach kurzem Zögern, ihre Finger auf seine Handflächen. Wie ein Blitz durchfuhr etwas ihren Körper, drang in ihre Seele, ließ ihren Atem einen Moment stocken. Sie konnte das, was sie spürte, nur mit einem einzigen Wort beschreiben: Chaos. Und dieses Chaos löste zugleich tiefen Schmerz und heillose Verwirrung in ihr aus, so grenzenlos und intensiv, wie sie kaum jemals ein Gefühl wahrgenommen hatte. Sie erstarrte, befand sich einen Moment lang gar nicht mehr in diesem Raum, sah wie in einem verzerrten Albtraum Jolins leere Augen, schloss die Tochter fest in ihre Arme und wurde mit ihr fortgezerrt, zu den Seelen der friedlosen Toten, direkt in den finsteren Scheol.
Robert drehte sich mit einem Ruck auf den Rücken, sie zog die Hände von ihm fort. Im selben Augenblick war sie wieder zurück, zitternd und schweißnass. Es war wie eine Rückkehr von den Pforten der Hölle. Sie schlug die Hände vor das Gesicht, atmete tief durch. Jolin nach ihrer Heimkehr zu berühren, hatte Grausames in ihr heraufbeschworen. Doch dies hier war hundertmal schlimmer. Es fiel ihr schwer, wieder völlig in die Wirklichkeit zu gelangen, doch sie wusste, sie hatte nur wenig Zeit. Sie zwang sich, die zitternden Hände sinken zu lassen.
"Ich glaube, du hörst mich", sagte sie. Ihre Stimme war zittrig wie ihr Körper. In ihrem Leben hatte sie kaum jemals die Beherrschung über sich verloren. Dies war einer der äußerst seltenen Momente, in denen sie sich krampfhaft sammeln musste. "Du hast ihn erwischt, mit dieser Eisenstange, sie steckte tief in seinem Körper. Ich möchte, dass du das weißt. Er ist nicht unverletzbar. Aber er ist zäh."
Ein zweites Mal atmete sie tief durch.
Robert gab keine Antwort, bewegte sich nicht. Sie hörte nicht einmal seinen Atem. Gern hätte sie sein Gesicht gesehen, sie wusste nicht, ob seine Augen geöffnet waren, ob da Leben in seiner Mimik lag. Wahrscheinlich hörte er sie, aber verstand er sie auch?
"Ich möchte dir kurz etwas erzählen", sagte sie und faltete die zitternden Hände in ihrem Schoß. Der Rubin blitzte an ihrem Finger. Sie wandte schnell die Augen von dem Schmuckstück und blickte auf die Stelle, wo statt Roberts Gesicht nur dieses schwarze Stoffstück war. "Jolin hat wenig geredet, als sie wieder bei mir war. Und von dem, was sie sagte, war nur ein Bruchteil verständlich." Sie schluckte, ihr war unwohl. Sie hasste dieses Durcheinander in ihrem Inneren, es war ihr völlig fremd. "Doch eines hat sie klar und deutlich erzählt und es war dabei für wenige Minuten wieder Leben in ihren Augen, beinah so, als sei mein Kind zurück. Mein Kind, wie es zuvor gewesen ist." Elisa gab ihn auf, diesen Kampf gegen die wirre Gefühlswelt. Sie ließ die Schultern sinken, atmete aus und ließ sich, während sie weiter sprach, einfach treiben, ohne sich weiter gegen ihr Herz zu stemmen. Sie spürte die alten Wunden wieder und es fühlte sich an wie Leben. "Asno war dabei, als Jolin es erzählte. Asno, mein kluger, leidenschaftlicher Junge. Er liebte seine Schwester. Er litt mit ihr. Und am Ende schien mir, er wäre am liebsten mit ihr gestorben." Sie gab ein Seufzen von sich. Es fühlte sich an, als läge eine Last auf ihrer Seele, doch durch ihr Reden wurde die Last ein wenig angehoben und das gab ihr Luft zum Atmen. Sogar vielleicht genug Luft zum Schreien. So, wie sie damals geschrien hatte, bei Jolins abrupten, grausamen Tod. "Ihr seid euch begegnet, ihr beide. Sie hat ihren Sohn gesehen." Elisa hielt inne, spürte einer unsichtbaren Regung nach, die nicht von ihr kam und auch nicht von dem Geist, der wie eine warme Wolke über ihnen lag. Hatte sie Robert erreicht? Hörte er ihre Worte? Spürte er ihre blutende Seele?
" Er hat diese Begegnung zugelassen, weil sie immer und immer den Wunsch an ihn getragen hat und darin einfach nicht nachgab. Nicht nachgab, obwohl in allem anderen mit der Zeit ihr Widerstand völlig zerbrach. So hat er es zugelassen. Und sie stand auf dieser Wiese am Wegrand, als der Junge mit der Kinderfrau vorbeikam. Sie sprach das Kind an. Sie fragte: Junge, wo ist deine Mutter? Und dieses Kind blieb stehen, und es hatte ganz dunkle Augen, wie die Großmutter, erzählte uns Jolin. Der Junge war drei Jahre alt, erst drei Jahre alt, und er gab ihr zuerst keine Antwort, doch sie sah etwas in diesen Augen oder glaubte etwas zu sehen. Die Kinderfrau sagte: Wenn
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