Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
auszubrechen.
Lang dauerte der Ritt zwischen den dicht stehenden Bäumen nicht, bis sie die Konturen eines Gebäudes mit einem kleinen runden Turm direkt vor sich erkennen konnten. Das eiserne Gitter sowie das hölzerne Tor waren durch einen schnellen Griff von Roberts Hand geöffnet, und in der nächsten Minute führten die drei Männer ihre Pferde in einen hohen Raum, der gerade genügend Platz für Mensch und Tier bot und Robin auf dem ersten Blick durch seine sakrale Ausstattung überraschte. Obwohl das Gebäude ihm für eine Kirche zu klein erschien, war an der dem Eingang gegenüber liegenden Wand ein Hochaltar mit etwa fünf Metern Höhe aufgebaut. Außerdem gab es zwei Spitzbogenfenster mit matt leuchtendem Buntglas, die den Kirchencharakter noch unterstrichen. Eine schlichte aber wuchtige Kniebank stand mitten im Raum.
An der rechten Seitenwand lehnte eine beinah lebensgroße Holzfigur, die im trüben Licht, ebenso wie der Altar, schwer erkennbar war. Einen Augenblick lang vergaß Robin vor Überraschung seinen Engel – und im nächsten Moment überfiel ihn große Unruhe. Sein Stiefvater war an Plätzen wie diesem oftmals auf die Knie gefallen, hatte das Gesicht auf den Boden gepresst und den Allmächtigen angerufen. An sakralen Orten konnte durchaus das Zorngericht Gottes lauern, benahm man sich nicht statthaft. Robin selbst hatte es stets bevorzugt, es seinem Stiefvater gleich zu tun.
Heute in diese üppig ausgestattete Kapelle einzudringen, zudem noch mit drei Pferden im Schlepptau, verlieh ihm ein denkbar ungutes Gefühl. Gern hätte er auf dem Absatz kehrt gemacht, um sich erneut in den Regensturm zu begeben, wäre da nicht die Furcht vor dem Zorn des alten Meisters, dem er sich bei Verlassen von Roberts Schutz auslieferte. So blieb er, machte eine tiefe Verbeugung vor dem Tisch des HERRN und bat still um Gnade für ihr frevelhaftes Verhalten.
Seine Gefährten entledigten sich inzwischen der nassesten Kleidungsteile und begannen, die Pferde abzusatteln. Robin tat es ihnen gleich. Niemand sagte etwas und dieses Schweigen lastete auf Robin wie das Schweigen Gottes selbst, der sich womöglich noch überlegte, wie mit den frechen Eindringlingen zu verfahren sei.
An die Scheiben der hohen Fenster prasselte unablässig der Regen, während das Heulen des Windes sogar noch anschwoll. Die drei Männer legten ihre Matten auf den Boden in eine Raumecke, setzten sich darauf und schwiegen weiter. Robin legte fröstelnd die Arme um die hochgezogenen Knie und lauschte dem tobenden Unwetter. Hin und wieder klickte ein beschlagener Huf auf dem harten Steinboden.
Nach einer langen Weile erhob Jesco unvermittelt die Stimme über den Lärm der Naturgewalten hinweg. „Robin sagte, dass wir uns dem Ziel nähern. Ich möchte wissen, wie es danach weitergeht. Eine von Robins Bedingungen war, dass ich Tadeya wiedersehe.“
Robert blickte Jesco an und man merkte deutlich, dass er zuvor mit seinen Gedanken so weit fortgewesen war, dass er einen Moment brauchte, bis die Worte des neben ihm Sitzenden bei ihm ankamen.
„Ich werde tun, was möglich ist“, war die Antwort. „Doch auch mir sind Grenzen gesetzt.“
Dass dieses Thema Jesco emotional sehr berührte, war nicht zu übersehen. Beim Sprechen zitterten seine Mundwinkel und die Stimme bebte, als er fragte: „Waren die Schwierigkeiten, die du jetzt siehst, auch schon da, als du mir dein Angebot gemacht hast?“
Robert schien es egal zu sein, ob Robin von dem anberaumten unfairen Handel etwas erfuhr oder nicht, denn er zögerte nicht, sich darüber zu äußern.
„ Ich hätte dich dort hingeschickt, wo ich sie vermute. Alles andere ist deinem Gott überlassen.“
In Jescos Gesicht war die wachsende Anspannung zu lesen. Robin dachte daran, wie viele Tage sein Gefährte über dieses Thema nun schon geschwiegen hatte, wahrscheinlich weil es kaum möglich war, einen geeigneten Zeitpunkt zu finden, um mit jemandem wie Robert zu reden. Der Druck, der auf Jesco die ganze Zeit schon gelastet hatte, wurde nun sichtbar. Er musste das Mädchen ebenso herbeisehnen wie Robin seinen Engel.
„Kannst du mir in etwa sagen, wie es ihr geht?“ setzte Jesco wieder an, „Befindet sie sich in Gefahr?“
Unwillig schüttelte Robert den Kopf und verweigerte die Antwort.
Jesco lehnte sich daraufhin zu ihm vor und blickte ihm eindringlich ins Gesicht. „Gibt es überhaupt eine Chance“, fragte er, „dass ich sie jemals lebend wiedersehe?“
„ Warum fragt du mich?“ erwiderte
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