Elwin - Rosenwasser (German Edition)
in der offenen Tür und half ihm, den Karren ins Haus zu ziehen.
»Das halbe Dorf ist schon auf den Beinen«, übertrieb der Holzgraf.
»Quatsch nicht, hilf mir lieber, die Kiste in den Garten zu tragen. Ich habe alles vorbereitet.«
»Was hast du vor?«
»Lass dich überraschen. Du wirst staunen.«
Tarveg, Paul und Luke hatten gerade den Weg betreten, der nördlich von Longor in Ost-Westrichtung verlief. Die drei Männer schwiegen, sahen sich um und lauschten in die Stille. Der Wald lag noch im Schatten der tief stehenden Morgensonne. Die Erde duftete herb nach Kiefernharz und frischem Grün. Entlang des Weges wuchsen Gräser und Moose. Gelb und weiß blühende Kräuter setzten einige Farbtupfer. Die Erde war karg und steinig, aber die Kräuter mochten es so. Die Blätter waren feucht vom Morgentau, kleine Wassertropfen tränkten die Pflanzen.
»Wir sind nicht allein«, flüsterte Tarveg. »Seht euch vor! Ich spüre die Gefahr in diesem Wald.« Er blieb unvermittelt stehen und atmete tief durch. »Gebt acht! Gebt acht!«, murmelte er.
Tarveg war der Kräuterheiler des Dorfes. Noel hatte ihn vergangene Nacht aufgesucht und erschöpft um ein Mittel zur Stärkung gebeten. Tarveg hatte die Gelegenheit genutzt und vertraute ihm seine Idee eines Getränks aus Kräutern zum Schutz der Bevölkerung an. Noel war völlig verblüfft, dass es so etwas gab, hatte er doch die Heiler und deren Wissen nie besonders zur Kenntnis genommen, jetzt aber bat er Tarveg, das Getränk zu brauen. »Mach viel davon und mach es stark«, hatte er ihn wissen lassen, als er das Haus verließ und zur Sitzung im Gasthof aufbrach.
Tarveg starrte in das Unterholz des Waldes auf der gegenüberliegenden Seite. »Alle suchen nach der Schatzkiste«, murmelte er. »Nur an ihre Gesundheit und ihre Kräfte denken sie nicht. Es ist immer das Gleiche.«
Seine Schüler Paul und Luke wollten von ihm lernen, mit welchen Pflanzen man Krankheiten behandeln und meist auch besiegen konnte.
»Wir suchen Löwenzahn und Katzenkraut, Bärlauch und Eisenkraut«, erklärte Tarveg, blieb stehen, nahm seinen roten Hut vom Kopf und drehte sich zu seinen Helfern um. »Paul, wo finden wir Löwenzahn?«, fragte er und deutete mit dem Hut über den Waldweg.
Paul schüttelte den Kopf. »Nicht im Wald. Den besten Löwenzahn schneidet man auf der Wiese, solange noch der Morgentau auf seinen Blättern ruht.«
Tarveg schmunzelte. »Ich höre, du hast gut aufgepasst. Lasst uns zunächst Katzenkraut suchen. Hier im Wald, in der Feuchte und im Halbdunkel, habe ich die besten Funde gemacht. Schaut hinter jeden Strauch, sammelt, so viel ihr findet und stopft eure Taschen voll. Dann schneiden wir die anderen Pflanzen, kehren zurück und bereiten einen Krafttrunk zu.«
Er hob den Kopf und schaute nach dem Stand der Sonne. Ihr Schein durchdrang nur spärlich den Wald.
»Es ist die richtige Stunde«, sagte er und deutete mit dem Hut auf den Weg weiter oberhalb, der noch gänzlich im Schatten lag. »Geht dorthin und sucht zu beiden Seiten«, wies er die Helfer an.
Paul und Luke nickten und eilten mit ihren Taschen in den Händen zu den Pflanzen. Sie waren wie Tarveg mit hellgrüner Hose bekleidet, trugen eine beige Jacke und einen roten hohen Hut. Das war ihre Uniform, wenn sie Kräuter suchten. So wusste jeder in Maledonia, dass auf dem Feld Kräuterheiler Pflanzen und Wurzeln zum Wohle aller suchten. Man ließ sie unbehelligt ihre Arbeit verrichten, auch wenn das Feld, auf dem sie suchten, einem Bauern gehörte. Die Heiler forderten keinen Lohn für ihre Arbeit. Umgekehrt mussten sie nichts für ihren Lebensunterhalt zahlen, wohnten kostenlos im Kräuterhaus des Dorfes und bekamen von allen Bewohnern zu essen und trinken. Im Ansehen folgten die Heiler den Feen, waren ebenso geschätzt und geachtet.
Tarveg setzte seinen Hut auf und schaute flüchtig zu seinen Helfern. Sie gingen in gebeugter Haltung am Wegrand entlang, stiegen hier und da in die Pflanzen und achteten bei jedem Schritt darauf, keine wertvollen Kräuter zu zertreten. Tarveg war zufrieden. Die Jungs hatten ebenso viel Achtung vor der Natur wie er selbst.
Er blickte zwischen den Zweigen eines Haselnussstrauches auf die Wiese, deren Grashalme sachte im Wind wogten. Bald ist Erntezeit, dachte er und hoffte, die Bauern würden die Früchte einbringen können, gleichgültig, wer in Maledonia das Sagen hatte. Er ängstigte sich bei dieser Vorstellung. Das Böse begann sich zu regen, er spürte es deutlich. Selbst
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