Elwin - Rosenwasser (German Edition)
vergangenen Tagen und lagen sich in den Armen. Noel lief dem Triumphzug entgegen. Auch ihm standen Tränen in den Augen. Die Anstrengungen der letzten Zeit brachen aus ihm heraus. Er sprach kein Wort, begleitete die Ehrenwächter zum Marktplatz und schaute nur auf die Schatzkiste.
Groohi rannte in Noels Zelt, räumte fix den Tisch ab und trug ihn hinaus. Die Ehrenwächter stellten die Truhe darauf, formierten sich neben dem Schatz, grüßten Noel mit der Hand an der Schläfe und blieben strammstehen. Jemand stimmte ein Lied an, andere fielen mit ein, schließlich sangen alle auf dem Marktplatz die Melodie. Elwin mochte das fröhliche Lied, das ihm vertraut klang, auch wenn er es noch nie zuvor gehört hatte. Groohi bahnte sich einen Weg durch die Menge, packte Elwin mit einer Hand am Arm und zog ihn zu sich.
»Schau dir die Schatzkiste an«, flüsterte er unzufrieden. In seinem Gesicht lag mehr Sorge als Freude. »Sie ist gut gemacht«, murmelte er. »Aber wer sie kennt, sieht die Unterschiede.«
»Darauf achtet jetzt niemand«, entgegnete Elwin, der breit grinste. »Groohi, sei unbesorgt. Noch vor einer Stunde dachten wir, Maledonia sei nun endgültig verloren, und jetzt ist genau das Gegenteil der Fall. Die Kräuterheiler, der spektakuläre Kampf, etwas Besseres konnte uns nicht passieren.«
»Das Holz ist viel zu hell«, brummelte Groohi. »Ich sehe Fugen, wo keine waren.«
»Niemand sieht das. Schau! Selbst deine Kollegen haben nichts bemerkt.«
Groohi schwieg und suchte weiter nach Abweichungen.
»Ist das nicht wundervoll?«, sprach eine Stimme neben ihnen. Groohi drehte sich erschrocken um. Er hatte, wie Elwin auch, Noel nicht bemerkt. Zu sehr waren sie mit der Schatzkiste beschäftigt. Noel trat zwischen die Freunde und legte die Arme um deren Schultern. »Bis gestern hatte ich fest geglaubt, dass wir den Schatz finden werden. Heute Morgen jedoch verließ mich meine Zuversicht. Und dann erreichte mich die Nachricht, die Kräutersammler hätten sie gefunden!«
Groohi schwieg und starrte auf die Kiste. Die Ehrenwächter hatten Mühe, würdevoll stehen zu bleiben. Die Leute auf dem Marktplatz drängten, jeder wollte möglichst nahe an das kostbare Fundstück, es sehen, berühren und mit dem wunderbaren Gefühl nach Hause gehen, dass Maledonia gerettet war.
Noel ließ seinen Gedanken freien Lauf. »Ich muss schon sagen, als ich vom Fundort erfuhr, dachte ich zunächst an einen Scherz. Stellt euch vor, die Schatzkiste lag direkt vor den Toren Longors. Es ist einfach unglaublich!«
Er lehnte sich vor und blickte abwechselnd in die Gesichter der Freunde. »Ihr beide seht nicht sehr erfreut aus.« Noel schaute kurz zu Elwin, wandte sich Groohi zu und folgte dessen Blick auf die Schatzkiste.
»Es tut mir leid um deinen Kollegen«, begann er. »Er war ein guter Ehrenwächter und hat den Kampf um das Rosenwasser mit dem Leben bezahlt. Wir werden den verschleppten Mann weiter suchen und finden. Heute Nachmittag verhören wir erst mal die Wilderer.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass diese Kerle uns so an der Nase herumgeführt haben. Vermutlich wurde die Prinzengarde oder wer auch immer die Schatzkiste stahl, selbst bedroht oder verfolgt. In ihrer Not warfen sie die Kiste unter den Ginsterbusch und kehrten bis heute nicht mehr zurück. Das mussten sie auch nicht, denn der Fluch erlischt mit dem Ende der Feen.«
Groohi atmete tief durch. Endlich löste er sich aus der Starre und murmelte, ohne Noel anzusehen: »Ich muss mit dir sprechen. Sofort!«
Noel schwieg verdutzt, schaute auf die Schatzkiste, die nun im Sonnenlicht glänzte, dann nickte er. »Gehen wir in mein Zelt.«
»Nein!«, rief Groohi, um sofort die Stimme zu senken. »Wir gehen zu mir.«
»Seid ihr wahnsinnig!«, schimpfte Noel, als er die Wahrheit erfuhr, und schlug mit einer Faust auf den Tisch. »Ihr habt ganz Longor getäuscht, die Feen, den Rat! Ich warb als Bürgermeister für Vertrauen und Hilfsbereitschaft und hoffte, in Longor eine bessere Welt zu schaffen. Und nun höre ich, dass meine besten Freunde mich, ja unser ganzes Volk belogen haben!« Noel schaute abwechselnd Groohi und Elwin an. In seinem Gesicht stand tiefe Enttäuschung. Seine Augen waren voller Tränen, sein Gesicht so blass wie die Milch in der Kanne auf dem Tisch.
Elwin wartete einen Augenblick; da keiner etwas sagte, räusperte er sich und erklärte: »Der Nachbau der Schatzkiste war meine Idee. Vielleicht hätten wir dir von dem
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