Elysion: Roman (German Edition)
handeln. Lediglich der Zeitstempel und die flatternden Silberbänder am Schutzgitter eines Ventilators verrieten, dass auch auf den Bildschirmen die Zeit voranschritt.
Er wählte eine Kamera mit einigermaßen gutem Blick auf jene Stelle, an der er zu sich gekommen war, auch wenn in diesem Winkel der Konus seinen Körper verdecken würde, dann rief er die Aufzeichnung der letzten fünf Stunden auf und ließ sie in vierfachem Tempo vorlaufen. Wiederum war zunächst nichts zu sehen. Kein Wunder, denn üblicherweise verbrachte er den größten Teil des Schöpfungsakts an der Steuerungseinheit, die von dieser Kamera erfasst wurde.
Doch schließlich …
»Sieh einer an«, sagte er.
Er erkannte seine eigene schmale Gestalt, wie sie von einer Seite schattenhaft ins Bild huschte, um sich dann über den seltsamen Brunnen im Labor zu beugen. Die Bilder waren etwas körnig, aber selbst im schnellen Vorlauf waren seine Bewegungsmuster unverkennbar. Er änderte die Geschwindigkeit auf »Normal«.
Der Zeitstempel in der rechten oberen Ecke des Bildschirms zeigte zwei Uhr dreißig. Das war etwa anderthalb Stunden her. Aus der Tatsache, dass er seinen Arbeitsplatz an der Schaltzentrale verlassen hatte und vor dem Konus stand, konnte er schließen, dass sich der Schöpfungsprozess wohl seinem Abschluss näherte.
Gebannt starrte er auf den Bildschirm. Minutenlang geschah gar nichts. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Schalttisch herum. Schließlich verlor er die Geduld und erhöhte das Tempo wieder.
Während sich der Zeitstempel hektisch durch die Minuten fraß, flackerten die Bilder im Eiltempo voran, was allerdings zunächst nur daran zu erkennen war, dass sein Alter Ego hier und da scheinbar nervöse Zuckungen vollführte.
Doch dann, plötzlich …
»Heureka!«, rief er aus.
Schnell spulte er ein paar Minuten zurück, schaltete wieder auf Normalgeschwindigkeit und konzentrierte seinen Blick auf das Rund des »Brunnens«. Es war so eine Art leuchtender Ring erkennbar.
Auf einmal ging alles sehr schnell. Ein dunkler Fleck in der Mitte der leuchtenden Öffnung der »Maschine« wurde zu einer Art schwarzen Wolke, die innerhalb von wenigen Augenblicken zu einer undefinierbaren länglichen Gestalt heranwuchs. Sie beugte sich über den Wissenschaftler, der angesichts der seltsamen Erscheinung in eine Art Schockstarre verfallen war, und hüllte ihn ein, schien ihn regelrecht zu verschlingen. Sie wurde zu einem nachtschwarzen Schatten, sodass es fast wirkte, als hätte man etwas aus dem Film herausgestanzt. Dennoch hatte er das unheimliche Gefühl, dass diese Dunkelheit ihn durch den Bildschirm hindurch zu beobachten schien, als wäre sie ein riesiges Auge.
Plötzlich ballten sich aus dieser Schwärze einige kleinere Flecken, die sich dann auflösten. Zurück blieb nichts. Sogar sein Alter Ego war verschwunden. Offensichtlich lag sein Körper bereits hinter dem »Brunnen«.
Er berührte eine Steuertaste, und das Bild fror ein.
»Was, zum Henker, war das?«, murmelte er atemlos.
Eine Weile lang starrte er nur entgeistert auf den Bildschirm, während ihm tausend Fragen durch den Kopf schwirrten.
War das, was er gesehen hatte, wirklich ein Malach gewesen? Dann war er anders als alle, die er bisher kannte. Bei den anderen Geburten hatten sich die Nanoteilchen bereits im Konus zu einem festen humanoiden Körper verdichtet. Noch nie hatte er bei irgendeinem der aberdutzend Schöpfungsakte, die er miterlebt hatte, etwas wie diese Wolke zu sehen bekommen.
Wieder knisterte es hinter ihm. Diesmal konnte er den Impuls nicht unterdrücken und fuhr herum.
Nichts.
Nur die Wand und jene Tür, durch die er den Raum betreten hatte. Er kam sich wie ein kompletter Idiot vor, fragte sich, was er wohl erwartet hatte, mutterseelenallein in einer hermetisch abgeriegelten Anlage viele Meter unter der Erde. Doch andererseits … War er wirklich noch allein?
Er ließ die Finger erneut über die Steuerungselemente huschen, spielte den Film ein zweites Mal ab, diesmal in Zeitlupe. Aufgrund der geringen Bildrate wirkte es eher wie eine schnelle Abfolge von Fotografien, mit kurzen Pausen dazwischen, und es war kaum mehr zu erkennen als vorher, außer dass auf einigen der Bilder der Eindruck entstand, dass die Wolke etwas wie Arme oder Tentakel hatte.
Auch das brachte ihm keine neuen Erkenntnisse. Die Erscheinung war allenfalls noch rätselhafter geworden.
Er schüttelte unwillig den Kopf, betätigte einen Knopf auf dem Schaltpult und
Weitere Kostenlose Bücher