Elysion: Roman (German Edition)
Malachim den Stamm erreichten, hatte er bereits vier Meter zwischen sich und den Boden gebracht. Zum Glück für die kleineren Kinder war der Stamm voller starker Äste. Ein Vorteil, der jetzt leider auch den Malachim zugutekommen würde. Er zwang sich, seinen Blick von den Monstern unter sich zu lösen und sich ganz auf das Ziel zu konzentrieren. Über ihm robbte das letzte der Kinder unter den Anfeuerungsrufen der anderen über den Ast und damit über beide Zäune, dorthin, wo das Seil festgebunden war.
Während es unter ihm verdächtig laut raschelte, ergriff Jimmy einen breiten Ast auf Augenhöhe, stemmte sich kurz entschlossen mit beiden Armen hoch. Dann holte er mit den Beinen Schwung und sandte dabei ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. Er war immer ein lausiger Turner gewesen. Sean dagegen hatte schon einiges Talent gezeigt.
Sean …
Das Bild seines sterbenden Bruders vor Augen konzentrierte er sich auf seine Wut auf die unbarmherzigen Monster dort unten und schwang sich mit aller Kraft nach oben, bis er bäuchlings über dem Ast hing.
Gerade wollte er Luft holen, als er die blutige Klaue gewahrte, die nach seiner Ferse schnappte. Schnell zog er das Bein an, und die Finger griffen mit einem hässlich schmatzenden Geräusch ins Leere. Dann zog er sich ein Stück nach vorn. Unwillkürlich fiel sein Blick nach unten. Der Malach, der nach ihm gegriffen hatte, klebte dicht unter ihm am Stamm wie eine riesige Spinne. Offenbar brauchte er sich nicht an irgendwelchen Ästen festzuhalten. Den zweiten Malach konnte Jimmy nicht entdecken.
Auf einmal richtete das Monster unter ihm das Gesicht nach oben, und ihre Blicke trafen sich. Bei dem Anblick der bloßen Muskeln, die den Augapfel in seine Richtung drehten, musste Jimmy ein Würgen unterdrücken. Das Monster musterte ihn. Kalt, gefühllos. Wie ein Forscher ein Insekt betrachten würde, bevor er es aufspießte.
Panik stieg in Jimmy auf. Er bemühte sich um besseren Halt, dann robbte er über den Ast, der über die beiden Zäune reichte, und richtete den Blick nach vorn.
Für einen kurzen Moment glaubte er, eines der Kinder dort zu sehen, wo das Seil um den Ast gebunden war …
Doch dann erkannte er, um was oder wen es sich wirklich handelte!
Wie, in aller Welt, war der Malach an ihm vorbei dorthin gelangt, ohne dass Jimmy ihn bemerkt hatte?
Erst da ging ihm auf, dass dies der Grund für das Geschrei der Kinder sein musste. Sie hatten ihn warnen wollen. Nun war es zu spät. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm, dass sich ihm der andere Malach näherte. Instinktiv schob sich Jimmy ein paar Schritte weiter nach vorn, auch wenn ihn dies dem zweiten Malach näher brachte.
Er befand sich etwa in der Mitte zwischen seinen Verfolgern. Unter ihm verlief der erste der beiden Zäune. Von hier aus konnte er erkennen, dass es sich bei der Struktur zwischen den Zäunen um waagerecht gespannte Drähte handelte. Jimmy spürte die Gefahr, die von ihnen ausging.
Schräg unter ihm, hinter dem inneren Zaun, wurde das Geschrei der Kinder wieder lauter. Jimmy warf einen Blick über die Schulter und sah, wie der erste Malach auf den dicken Ast kroch. Er bewegte sich dabei wie ein Insekt. Das Holz, das nun das Gewicht von drei Körpern tragen musste, ächzte und knarrte.
Die Kinder kreischten hysterisch. Jimmy sah den Malach beim Seil vor sich, sah in die blauen Augen. Es war nichts darin zu lesen. Kein Jagdeifer, kein Triumph. Nur kühle Aufmerksamkeit. Er würde auf Jimmy warten, während der andere den Jungen von hinten weiter den Ast entlang trieb. War dies das Ende? Würden sie ihn aufspießen wie Patrick, oder würden sie mit ihren seltsamen Kräften ihre Hände in seinen Körper stoßen, sein Herz packen und zusammendrücken wie bei Sean? Wie würde es sich anfühlen? Er spürte es wild und kraftvoll in seiner Brust schlagen. Noch.
Instinktiv rutschte er ein weiteres Stückchen vorwärts und sah im nächsten Moment, wie sich der Malach vor ihm ebenfalls in Bewegung setzte. Offensichtlich dauerte es ihm zu lange.
Der Malach hinter Jimmy war kaum noch zwei Armlängen entfernt. Das Gekreische der Kinder unter ihnen hatte sich zu einem infernalischen Konzert gesteigert.
Aus den Augenwinkeln nahm er den heransausenden Arm des Malach vor ihm wahr. Instinktiv zog er den Kopf ein und ruckte zur Seite. Die Hand fuhr knapp über seinen Scheitel, er spürte den Luftzug in seinen Haaren, spürte, wie ihm die plötzliche Bewegung die Balance nahm und er abzurutschen
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