E.M. Remarque
Das
hatte ihm das Leben gerettet.
Thiedemann war noch bei
Bewußtsein, als sie ihn herausholten, und dem äußeren Anschein nach praktisch
unverletzt. Er saß eine Zeitlang apathisch am Rand des Grabens auf dem Boden
und starrte abwesend auf die Leichen seiner Kameraden. Ein Krankenträger
rüttelte ihn an der Schulter und versuchte, ihm eine Tasse Kaffee mit etwas
Schnaps zwischen die Zähne zu pressen. Dann seufzte er tief und brach zusammen.
Er
hatte offenbar einen schweren Schock erlitten, und fast ein Jahr lang wechselte
er von einer Nervenklinik zur anderen. Dann gelang es seiner Frau schließlich,
die Genehmigung zu bekommen, ihn nach Hause zu holen. Als der Wagen in den Weg
bog, der zu dem Bauernhof führte, und zum Schuppen hinüberholperte, richtete
Thiedemann sich auf. Seine Frau wurde blaß und hielt den Atem an. Im Stall
grunzten Schweine, und der Duft von Linden wehte herüber. Thiedemann drehte den
Kopf erst hierhin, dann dorthin, als suche er etwas. Aber dann sank er wieder
zurück und blieb wieder teilnahmslos, sogar als seine Mutter, während er am
Tisch saß, hereinkam. Er aß, was ihm vorgesetzt wurde, und machte dann eine
Runde durchs Haus. Er fand sich überall zurecht, wußte genau, wo das Vieh
gehalten wurde und wo das Schlafzimmer war. Aber er erkannte nichts wieder. Der
Hund, der ihn erst aufgeregt beschnüffelt hatte, legte sich wieder neben den
Ofen und winselte. Er leckte ihm nicht die Hände und sprang auch nicht an ihm
hoch.
Während der ersten paar
Wochen saß Thiedemann viel allein in der warmen Sonne neben der Scheune. Er
schenkte niemandem Beachtung, und man ließ ihn tun, was er wollte. Nachts litt
er oft an Erstickungsanfällen. Dann sprang er auf und schlug um sich und
schrie. Einmal verblutete er fast, als er das Fenster eingeschlagen und sich
dabei das Handgelenk verletzt hatte. Daher ließ seine Frau im Schlafzimmer
Fenster mit Maschendraht einsetzen.
Später war Thiedemann
sehr glücklich, wenn er mit den Kindern spielte. Er machte ihnen kleine
Papierschiffe und schnitt ihnen Pfeifen aus Weidenzweigen. Sie mochten ihn, und
als die Heidelbeerzeit kam, nahmen sie ihn mit in den Wald, um welche zu
suchen. Auf dem Nachhauseweg wollten sie eine Abkürzung nehmen und über ein
Stück offenes Land gehen. Aber kaum hatten sie den Schutz der letzten Bäume
hinter sich gelassen, als er unruhig wurde. Verängstigt und aufgeregt rief er
den Kindern etwas zu und warf sich auf den Boden. Sie sahen ihn erstaunt an. Er
zog den Kleinen neben sich auf die Erde herunter und ließ sich nicht überreden,
aufrecht weiter über das offene Feld zu gehen. Er wollte kriechen und bückte
sich dauernd. Die Kinder wußten nicht, was sie tun sollten, also zogen sie los,
um seine Frau zu holen. Und als sie sich über die Felder davonmachten, rief
Thiedemann äußerst beunruhigt hinter ihnen her und machte die Augen zu, als ob
gleich etwas Schreckliches passieren würde.
Im
Laufe der Zeit wurde er dick und schwammig – er tat nichts und aß achtlos und
zu viel. Allmählich lernte er die Leute im Haus kennen; aber er begriff nicht,
daß er zu ihnen gehörte. Ihr Äußeres war ihm nicht mehr vertraut. Er war fast
immer freundlich und zufrieden. Nur ab und zu, wenn er zufällig ein Stück
frisch gesplittertes, helles Holz sah, weinte er und war nicht leicht zu
trösten.
Seine Frau
bewirtschaftete den Hof allein. Sie entließ den Vorarbeiter, weil er sich
einmal bei Tisch über eine gewisse hilflose Geste von Thiedemann lustig gemacht
hatte. Der Kerl kam nach ein paar Tagen wieder zurück, um zu erklären, daß er
es nicht böse gemeint habe, aber sie reichte ihm nur seinen Lohn, ohne ihm
zuzuhören, und ging aus dem Zimmer. Eines Abends, als der Müllerssohn sich an
sie herangemacht und die Tür hinter ihr
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