E.M. Remarque
Kompanie
gelegen hatte. Es war ein ödes, tristes Dorf mit langen Reihen grauer Häuser.
Von den Ruinen auf dem Foto war nichts zu sehen. Der Ort war vollkommen
wiederaufgebaut.
Ein
paar Pferdewagen mit Touristen fuhren vor dem Gasthof vor. Ein Dolmetscher kam
auf die Frau zu und sprach sie an. Sie fragte, ob er ihr etwas über den
Frontabschnitt sagen könne, wo Thiedemann verschüttet worden war. Er zuckte die
Schultern – jetzt waren überall wieder Felder; die wurden seit einiger Zeit wieder
bestellt.
»Überall?«
fragte die Frau.
»Oh,
nein!« Der Dolmetscher begann Anzeichen des Verstehens zu zeigen und erklärte,
daß in der Nähe, kaum mehr als einen Kilometer entfernt, das Gebiet mit Gräben
und Granattrichtern noch immer fast genauso wie früher daläge. Sollte er sie
hinführen? Sie nickte, und kaum daß sie sich Zeit nahm, ihr Gepäck im Gasthof
abzustellen, machten sie sich auf.
Der
Tag war klar und schön. Ein leichter Wind ging über die Hänge, und winzige
blaue Schmetterlinge flatterten zwischen den Gräben und Drahtverhauen hin und
her. Mohnblumen und Kamille wuchsen an den Kraterrändern. Die Wiesen, die noch
immer hier und da in diese Landschaft hineinreichten, blieben allmählich
zurück, das Dorf verschwand, und als sie einen Hügelrücken überquert hatten,
erhob sich plötzlich rings um sie das fahle Schweigen der Schlachtfelder,
gestört nur von ein paar kleinen Gruppen von Männern bei der Arbeit hier und da
zwischen den Granattrichtern. Es waren die Metallsammler, erklärte der Führer –
die suchten nach Eisen, Kupfer und Stahl.
»Hier?«
fragte die Frau. Der Führer nickte. »Der Boden ist voll von Munition«, sagte
er. »Deshalb ist die ganze Gegend an eine Metallverwertungsfirma verpachtet
worden. Leichen, die sie finden, werden gesammelt und auf den verschiedenen
Friedhöfen in der Nähe begraben.« Er zeigte nach rechts, wo lange Reihen mit
weißen Kreuzen zu sehen waren, die in der Sonne glänzten.
Die
Frau blieb
mit Thiedemann bis zum Abend da draußen. Sie ging mit ihm durch viele Gräben
und Krater, sie stand mit ihm vor vielen zusammengefallenen und eingestürzten
Unterständen. Sie schaute ihn oft an, dann ging sie immer weiter. Aber er ging
teilnahmslos mit, und kein Licht brachte Leben in seinen erloschenen
Gesichtsausdruck. Am nächsten Morgen war die Frau wieder da draußen. Sie kannte
jetzt den Weg, und Tag für Tag waren die beiden zu sehen, wie sie langsam über
die lehmigen Kraterfelder gingen – der müde, gebeugte Mann und die große,
schweigsame Frau. Am Abend kehrten sie dann in den Gasthof zurück und gingen
auf ihr Zimmer. Manchmal begleitete der Dolmetscher die beiden auf dem
Schlachtfeld. Einmal führte er sie zu einem Gebiet, wo Touristen selten
hinkamen. Keine Menschenseele war zu sehen außer ein paar Grüppchen von
Sammlern bei ihrer Arbeit.
An
einer Stelle war das Labyrinth der Frontgräben praktisch unberührt geblieben.
Thiedemann blieb vor einem Unterstand stehen und beugte sich hinunter. Das
hatte er schon oft getan, aber diesmal hielt die Frau inne und faßte den Arm
des Dolmetschers. Ein paar verrottete Bretter, mit denen die Wände des
Unterstands verschalt gewesen waren, ragten aus dem Eingang heraus. Thiedemann
untersuchte sie mit den Händen, tastend, vorsichtig.
In
diesem Augenblick ertönte plötzlich ein scharfes Hämmern von einigen Sammlern,
die ein paar hundert Meter entfernt zu graben anfingen. Es schien so
unerträglich laut, daß die Frau eine Geste machte, als wolle sie es mit der
Hand zum Schweigen bringen – aber im nächsten Augenblick erschütterte ein
heftiges Krachen den Boden, und darauf folgte ein Pfeifen, Heulen, Zischen,
dann ein verzweifelter, kreischender Schrei von der
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